Zu den wunderbaren Erkenntnissen der Österreichischen Schule der Ökonomie von Ludwig von Mises bis Jesús Huerta de Soto gehört, dass jedermann Unternehmer seines Lebens ist, denn jedes freie Handeln ist ein Unternehmen. Wir alle starten mit einem Kapital, das uns Natur, Tradition und Erziehung gegeben haben und das durch tägliche Erfahrung vermehrt wird. Es gilt, aus diesem angeborenen oder erworbenen Kapital eine maximale Rendite in Bezug auf Sinn und Lebenserfüllung herauszuholen: unsere – wie Aristoteles das nennt – Entelechie zu durchleben. Man muss mit seinem Pfunde wuchern. „Werde, der du bist!“ Oder – wie dies pathetisch einmal Thomas Carlyle sagte: „Jahrtausende mussten vergehen, ehe du ins Leben tratest, und weitere Jahrtausende warten schweigend, was du mit diesem deinem Leben beginnen wirst.“

Welches aber ist denn der unternehmerische Auftrag, der uns zunächst verborgene Sinn unseres Lebens? Wir erfahren ihn durch unser Handeln, im Verfahren des Versuchs und Irrtums, im Ausprobieren, im Problemlösen, im Wettbewerb als Entdeckungsverfahren unseres Selbst; in dem, was uns gefällt und gelingt und in dem, was uns nicht gefällt oder nicht gelingt. Das naturgegebene Kapital ist unsere Gestalt, das Aussehen, das Temperament und der Charakter, die Energie, die intelligente und praktische Begabung. Erworbenes Kapital ist, was uns Tradition, Erziehung, Elternhaus, Freunde, kulturelle und soziale Umgebung, Zeitumstände und persönliche Erlebnisse und Erfahrungen zuführen.

Was das Leben spannend macht, ist dabei zweierlei: die Knappheit an Lebenszeit und die Ungewissheit der Zukunft. Sicheres Wissen habe ich nur über die Vergangenheit, die zukünftigen Daten können wir nicht kennen. Darum ist jedes Handeln ein Handeln unter Hypothesen, auch „Spekulation“ genannt. Und darum gilt: „Doch das Leben ist ein Fest, wenn´s sich nicht berechnen lässt.“

Das relativ Überraschungsfreie einer Beamtenexistenz mit absolutem Kündigungsschutz und lebenslanger dienstherrlicher Fürsorge liegt darin, dass sich bei gegebenen Aufstiegsmustern in der bürokratischen Hierarchie nur allzu viel berechnen lässt. Das Leben verläuft in fremdgeordneten Bahnen, nach „des Dienstes gleichgestellter Uhr“. Ferner darf ich als Beamter meine Subjektivität nicht voll ausleben. Schließlich gehört zum Ethos und Gesetz des Dienstes: jedermann gleich zu behandeln, niemanden zu diskriminieren oder zu bevorzugen, gleich ob mir ein Bürger gefällt oder nicht. Eben sine ira et studio: ohne Zorn und Eifer, leidenschaftslos. Aber es ist doch auch eine unternehmerische Entscheidung, Beamter oder fast unkündbarer öffentlicher Angestellter zu werden, mit all den Konsequenzen für Lebensweise und Habitus. Schließlich muss auch ein Beamter in seinem Privatleben weiterhin unternehmerische Entscheidungen treffen.

Alles Handeln ist Entscheiden

Die berufliche Lebensentscheidung ist – von der Neigung abgesehen – eine unternehmerische Spekulation über die Daten der Zukunft, gleich ob man selbständiger Unternehmer, Manager, Künstler oder Fußpfleger werden will. Man erwartet ein bestimmtes Einkommen und ein bestimmtes Ansehen, oder kurz gesagt: beruflichen Erfolg. Man kann sich in dieser Erwartung jedoch auch täuschen, wie beispielsweise die hohen Zahlen studierter Taxifahrer belegen oder die sozial und ökonomisch abgestürzten selbständigen Unternehmer, die Klienten der öffentlichen Fürsorge geworden sind. Es gibt ja keinen Rechtsanspruch auf Glück und Erfolg, nicht einmal gegen Gott, denn der sagt kühl: Ich gebe die Nüsse, aber ich beiße sie nicht auf.

Es ist in jedem Fall eine Entscheidung zwischen Alternativen, und man bedenke, dass nichts im Leben alternativlos ist. Das ganze Leben ist ein permanentes Entscheiden – zwischen Lebensmodellen und Werten, für die einen und damit unvermeidlich gegen die anderen. Dies sollte man nicht mit relativierenden Betrachtungen verschleiern.

Auch im Kleinen müssen wir uns täglich „unternehmerisch“ entscheiden: Welcher Freund oder welche Freundin, welcher Ehemann, welche Ehefrau, sollen wir Kinder haben, und wenn ja, wie viele? Auch: welcher Arzt, Rechtsanwalt oder Steuerberater, ja sogar welche Konsumgüter, welcher Wohnort, Garten oder nicht? Sport, und wenn ja, welchen? Durch diese täglichen Entscheidungen weben wir den Kokon unseres Lebens.

Freilich steht am Ende immer die Vernichtung oder freundlich-pantheistisch gesagt: die Verwandlung. Selbst Milchstraßen und Sonnen haben ihre Schicksale. Dennoch: Gerade die Knappheit der Ressource Lebenszeit (vulgo: der Tod) generiert den Sinn unserer Biografie, nur sie verleiht dem Augenblick Bedeutung. Sie ist der Dramaturg unseres Lebens und zwingt täglich zur Entscheidung.

Über das Unternehmertum im engeren Sinn

Auch wenn wir alle als Handelnde Unternehmer unseres Lebens sind, so gibt es doch die Gruppe der Unternehmer im engeren Sinn: Ihr Auftrag ist, auf eigene Verantwortung, mit Haftung und unter Konkursrisiko, die Kunden im Wettbewerb mit Gütern und Dienstleistungen zu versorgen. Sie sind professionelle Knappheitsüberwinder, werden mit Gewinnen für die „richtige“ Verbraucherbedienung belohnt – oder mit Abwanderung der Kunden zum Wettbewerber und Verlusten bestraft. Wettbewerb ist die harte, aber notwendige Peitsche! Über die Leistung der Unternehmer wird mit jedem ausgegebenen Cent täglich gnadenlos auf den Märkten abgestimmt. Es hilft den Unternehmern nichts, wenn sie glauben, sie böten doch die besten Produkte der Welt an und die Verbraucher seien nur zu dumm und ignorant, um dies zu erkennen. Es gilt eben die Spruchweisheit: Der Köder muss dem Fisch und nicht dem Angler schmecken! Märkte sind eine Konsumentendemokratie, ein tägliches Plebiszit, wobei jede Münze zählt.

Unternehmer in diesem engeren Sinn sind, wie Werner Sombart schrieb, Eroberer, Kaufleute und Organisatoren, besonders auch Menschenführer. Als Innovatoren sind sie auch „schöpferische Zerstörer“: Daher rührt gewiss ein Teil des Ressentiments gegen sie. Die Postkutschenbetreiber konnten sich über die Erfindung der Eisenbahn nicht freuen, die Eisenbahnhersteller nicht über das Aufkommen des Autos, die Handwerker nicht über die industrielle Produktionsweise und der traditionelle Einzelhandel oder die Zeitungswirtschaft nicht über das Internet.

Ohne moralische Basisregeln können weder Tauschwirtschaft noch Unternehmertum bestehen. Ohne Vertragstreue und Achtung vor Eigentum und Leben des Nächsten kann eine arbeitsteilige Marktwirtschaft nicht funktionieren. Insoweit disziplinieren Marktwirtschaft und Konkurrenz den Unternehmer: Er kommt nur mit freiwilligen Tauschverträgen weiter, nicht mit Gewalt. Das Gewaltprinzip wird durch das friedliche Vertragsprinzip ersetzt. Auch der größte Unternehmer wurde nur groß durch die freie Anerkennung seiner Produktion. Und auch der größte Konzern ist nur groß, solange die Kunden ihm treu bleiben, die er ja nicht zum Kauf seiner Produkte zwingen kann. So üben Markt und Tausch eine moralisierende Wirkung aus.

Der Unternehmer braucht die Tugenden der Disziplin, der Wachsamkeit – denn die Konkurrenz schläft nicht –, der Tapferkeit, des Fleißes und des Mutes. Oberflächliche oder demagogische Kritik verkennt, dass es Unternehmerinitiative war, die in den letzten Jahrhunderten die Armut als Massenerscheinung überwunden und den Aufstieg des „kleinen Mannes“ bewirkt hat. Nie lebten so viele Menschen so gut versorgt und so lange wie heute. Wer konnte sich im 18. Jahrhundert eine Kutsche erlauben? Heute fährt fast jeder Erwachsene ein Auto, das viel mehr als nur eine Kutsche ist. Wer konnte im 18. Jahrhundert reisen? Heute sind Weltreisen selbst für Hilfsarbeiter erschwinglich. Der Luxuskonsum hat sich durch die Wirkung der Marktwirtschaft und des Wettbewerbs demokratisiert. Unternehmertum, nicht die Sozialämter haben Armut als Massenerscheinung überwunden.

Die Gegner unternehmerischer Lebensauffassung

Zum Leben als Unternehmer und zum Selbstentdecken brauchen wir vor allem eines: Handlungsfreiheit und Eigenverantwortung. Diese ermöglicht nur ein liberaler Staat, kein Wohlfahrts- oder Nanny-Staat, wie wir ihn gegenwärtig haben und immer weiter ausbauen. Mit der Eigenverantwortung haften wir auch für unsere Entscheidungen. Freiheit bedeutet auch die Freiheit und das Risiko abzustürzen. Dieses normale Risiko eines jeden Lebens, das damit erst seine Spannung, seinen Ernst und seine Größe erhält, ist unseren Sozialbetreuern ein Dorn im Auge. Nicht einmal gegen die ganz normalen Lebensrisiken wie Einkommensverluste im Alter, bei Krankheit, Unfall oder Arbeitslosigkeit dürfen wir heute selber vorsorgen. Man stülpt uns seit Bismarck ein staatliches Versorgungsschema über, schafft insoweit unsere Vertragsfreiheit ab und zwingt uns dazu, fast die Hälfte unseres Einkommens als „Sozialtribut“ abzugeben, damit andere – der Staat – für unsere ureigensten Angelegenheiten sorgen. So werden wir mit unserem eigenen Geld vom Staat abhängig gemacht. Die Freunde des Wohlfahrtsstaates sprechen von einer „Freiheit von Not“ und meinen damit die Versorgung durch den Staat. Aber Freiheit heißt nicht gleichzeitig auch gute Versorgung, sie schafft vielmehr nur den Raum zur Eigeninitiative für eine eigenständige Lebensvorsorge.

Dabei waren es die Märkte, die von sich aus wunderbare soziale Schutzeinrichtungen wie die Privatversicherung hervorgebracht haben, und zwar für alle, die als Einzelne zu schwach zu einer umfangreicheren selbständigen Risikovorsorge sind. Auch die Genossenschaftsbewegung verfolgt dieses Motiv. Aber die sogenannte Sozialversicherung ist überhaupt keine echte Versicherung, sondern ein staatliches Versorgungsschema: Man bildet in ihr kein Kapital, sondern kumuliert höchst unsichere Ansprüche. Nur eine Minderheit ist in Deutschland noch vollständig frei zur Eigenvorsorge, die sogenannten Selbständigen, die man aber am liebsten durch eine sogenannte Bürgerversicherung auch noch kollektivieren möchte.

Auch sonst ist die Vertragsfreiheit weitgehend abgeschafft, etwa auf dem Arbeitsmarkt, wo privilegierte Kartelle und staatliche Diktate – zum Beispiel ein „gesetzlicher Mindestlohn“ – uns nicht nur Entlohnung, sondern auch Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten oktroyieren und damit Arbeitsverbote installieren und Arbeitsplätze vernichten. Dann die überzogene Verbraucherschutzgesetzgebung, die den Verbraucher als Souverän des Marktes entthront hat, zum Beispiel mit Widerrufmöglichkeiten nach schon unterschriebenem Kaufvertrag und mit erzwungenen, nicht abdingbaren Gewährleistungsfristen. Man möchte uns vor Fehlhandlung und Enttäuschung schützen – aber auch schlechte Erfahrungen und Enttäuschungen sind nötig, um klug zu werden. Verbraucherschutz kann zur Verbraucherverdummung führen.

Der Götze der Gleichheit

Ein besonders übler Zug unseres Bevormundungsstaates, der uns in unserem unternehmerischen Auftrag beeinträchtigt, sind die Zwangsmaßnahmen zur Herstellung gleicher Lebensbedingungen und gleicher sozialer Anerkennung – auch soziale Gerechtigkeit und Antidiskriminierung genannt. Alle materiell durch Umverteilung möglichst gleichzustellen und auch vom Ansehen und der sozialen Wertschätzung gleichzumachen – das geht mit Freiheit, Unternehmertum und Wettbewerb nicht zusammen. Ungleichheit ist die Voraussetzung der Arbeitsteilung, der Vielfalt, der Privatheit und der Unabhängigkeit unserer Familien; sie ist überhaupt der Motor, ja der Lebensnerv einer freien Gesellschaft. Antidiskriminierung darf nur da sein, wo sie hingehört, nämlich ins öffentliche Recht: Vor dem Gesetz sind alle gleich, unabhängig von Religion, Geschlecht oder Rasse.

Aber im Privatleben müssen wir nach unseren persönlichen Meinungen, Wünschen und Vorlieben handeln – und in diesem Sinne diskriminieren oder zu Deutsch: unterscheiden. Das macht gerade das Wesen privater Freiheit aus. Wenn wir nur mit Katholiken, nur mit Moslems, nur mit Inländern, nur mit Männern oder nur mit Frauen zusammenarbeiten oder sonstige Verträge schließen wollen, so ist dies unser Ur-Recht – das ist unsere Freiheit: eigenverantwortlich und nach persönlichem Gewissen und Belieben zu handeln und Verträge abzuschließen. Wir diskriminieren ja unvermeidlich bei jeder Wahlhandlung: Wer mit einer Blondine verheiratet ist, hat die Schwarzhaarigen und Brünetten diskriminiert. Diskriminiere ich einklagbar Ford, wenn ich einen VW wähle oder die FDP der Linken vorziehe? Hier ist den gleichmacherischen Neidhammeln eine terminologische Überrumpelung der Öffentlichkeit und vieler Intellektueller geglückt. Das ist beschämend und eine Begriffsverwirrung sondergleichen und von großer Tragweite.

Die Ohren spitzen sollte man auch, wenn man von „inklusiver Gesellschaft“ hört oder die Rede davon ist, dass „niemand ausgegrenzt werden“ solle. Ausgrenzung ist das Wesen jeder besonderen Gemeinschaft und eines jeden Vereins. Mit unserer Ehe grenzen wir andere Partner aus, im Kaninchenzüchterverein grenzen wir Hühnerzüchter, bei den Kegelvereinen die Fußballer aus, und wenn man deutscher Staatsbürger ist, sind damit andere Staatszugehörigkeiten „ausgegrenzt“.

Was steckt dahinter? Das Ideal einer homogenen Gesellschaft von total Gleichen, Gleichbewerteten, die deswegen keine Konflikte, keinen Wettbewerb kennen. Das ist dann so, wie in einem Ameisenstaat: die Harmonie der Herde, der totale Kollektivismus, eine lebensfeindliche Utopie!

Über die Freiheit von und die Freiheit zu

Manchmal hört man, die „Freiheit von“ sei ja schön und gut, aber sie sei rein negativ. Entscheidend sei die „Freiheit zu“, die positive Freiheit. Indessen braucht man die Freiheit vom Kommando anderer Menschen, um die Freiheit zum eigenen Lebensentwurf zu haben. Alles andere, eine vom Staat gesetzte „Freiheit zu“ bedeutet nichts weniger als Sklaverei. Dahin gehört auch die ominöse, vom Staat garantierte „Freiheit von Not“. Auch diese verträgt sich gut mit Sklaverei: Der wohlgenährte und versorgte Sklave ist demnach frei, und das gilt selbst für den Gefängnisinsassen, für den täglich gesorgt ist. Der unabhängige Bürger im täglichen Kampf um sein Einkommen ist hingegen unfrei. Der kämpfende Fuchs in den Wäldern ist unfrei, dagegen der angekettete und gut versorgte Hofhund des Bauern frei. Leider muss der aber gehorchen. Die Beispiele zeigen, wie absurd diese Redensart von der wünschenswerten positiven „Freiheit von Not“ in diesem Sinne ist.

Letztlich ist entscheidend, welchen Menschentyp wir wollen – den selbständigen und unternehmerischen oder den betreuten und damit fremdbeherrschten? Immanuel Kant warf dem königlichen Wohlfahrtsstaat seiner Zeit vor, er behandle die Menschen wie Haustiere. Konrad Lorenz sprach gar von einer „Verhausschweinung“ des Menschen, Wilhelm Röpke von der „komfortablen Stallfütterung“ im Wohlfahrtsstaat.

Notwendig ist eine unternehmerische Lebensauffassung! Nur diese Lebensform ist aufregend und im Endeffekt glücklich machend, so wie der Philosoph Friedrich Nietzsche vom „Glück der hohen Spannung“ sprach. No risk, no fun! Es ist für jeden eine annehmbare Nische der Bewährung und des Erfolges da, wenn auch vielleicht nur auf dunklen Umwegen und mit harten Opfern. Und: Wenn du eine helfende Hand brauchst, suche sie zunächst einmal am Ende deines rechten Armes. Dies lehrt uns die Verantwortlichkeitslehre der Subsidiarität, und dies ist auch die Botschaft Ludwig Erhards.

Prof. Dr. Gerd Habermann ist Vorsitzender der Friedrich August von Hayek-Stiftung für eine freie Gesellschaft. Der vorliegende Beitrag ist auch in den „Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik“, Heft 142, Dezember 2015, Seiten 76 bis 81, erschienen. Er ist eine überarbeitete Fassung eines Vortrags, den der Autor auf Tagungen der European Students for Liberty in München im Jahr 2014 sowie der Jungen Unternehmer in Nürnberg im Jahr 2015 gehalten hat.

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