Am 20. April erhielt Prof. Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister a.D., den „Deutschen CSR-Preis“ 2015 für sein herausragendes Engagement beim Corporate Social Responsibility (CSR) in Unternehmen. Roland Tichy, Vorsitzender der Jury, hielt die Laudatio.

„Ich müsste nur die Liste der Ehrungen, der Preise, der Auszeichnungen vortragen, die Sie, lieber Herr Töpfer, erhalten haben, dann wäre meine Redezeit bei normalem Sprechtempo gefüllt. Ich könnte auch noch eine Laudatio vortragen, dann hätten Sie ein nachhaltiges Erlebnis. Aber ich will es ein bisschen anders machen.

Herr Töpfer ist geboren in einem teuflischen Jahr, im Jahr 1938. Das heißt, er hat als Person die grauenhaftesten Jahre mitgemacht, schuldlos in einem schuldigen Land. Seine Familie ist aus ihrer Heimat in Schlesien vertrieben worden und schließlich in Höxter in Westfalen gelandet. In dieser Zeit der Not, die ihn immer geprägt hat, sind zwei Sätze überliefert, die Klaus Töpfer seinen Eltern zuschreibt. Von der Mutter habe er gelernt: Not lernt Ethik. Vom Vater habe er gelernt: Not macht erfinderisch. Vielleicht sind diese beiden Sätze doch sehr zutreffend als Beschreibung für Ihr Wirken, lieber Herr Töpfer. Da ist der moralische Impetus, der kommt vom Beten, und da ist das Handeln, das kommt von der Not, die so erfinderisch macht. Eigentlich sollten Sie nicht studieren, denn der Vater war mehr für etwas Handfestes. Volkswirtschaft ging gerade noch so. – Also wenn unsere Väter gewusst hätten, was man da für Hirnschmarrn und Modellschreinerei lernt, hätten sie uns das vielleicht nicht zugestanden. – Das Geld für Ihr Studium haben Sie als Dachdecker verdient und danach eine steile wissenschaftliche Karriere mit vielen Stationen hinter sich gebracht.

Und dann begann etwas ganz Interessantes, eine politische Laufbahn: 1985 wurden Sie Minister für Umwelt und Gesundheit in Rheinland-Pfalz im Kabinett von Bernhard Vogel. Heute ist es eher ungewöhnlich, dass ein Wissenschaftler, dem das ja nicht in die Wiege gelegt war, in die Politik geht. Sie waren etwas anderes als der blutleere Typus, der heute unsere Parlamente, Regierungen und Kabinette beherrscht, der also immer nur im politischen Prozess daheim war, aber nie im wirklichen Leben. Im Jahr 1987 wurden Sie Nachfolger von Walter Wallmann als Bundesumweltminister. Und ich erinnere mich noch an Ihr verblüfftes Gesicht, als Sie zwei Tage nach Ihrer Berufung sagten: „Ich war doch bloß für die Einzahlung eines ‚Raucherpfennigs′ in die Krankenkassen, und jetzt schreibt die Bild-Zeitung über mich.“ Das kam damals nicht gut, und es war dann plötzlich klar, dass der Kontext entscheidet über das, was wir sagen. Sie haben den Rauchern natürlich nicht das Rauchen abgewöhnt, aber später den Atomreaktoren die Existenz schwer gemacht. Im Jahr 1988 bereits haben Sie beim Bundesparteitag der CDU in den Antragsunterlagen den Satz formuliert: Wir müssen eine Zukunft ohne Kernenergie, aber auch mit weniger fossilen Energieträgern entwickeln. Das Thema wurde gestrichen und ist nicht zur Debatte gekommen, es wurde vertagt. 1989 wurde die Erzeugung von Kernenergie dann – Sie sind ja jemand, den die Not erfinderisch macht und der Zähigkeit beweist – als Übergangstechnologie bezeichnet. Und es hat dann noch ein paar Jahre gedauert, bis damit begonnen wurde sie einzustellen.

Damals gab es Störfälle in Atomkraftwerken, und im Rhein starben die Fische, nachdem ein Chemieunternehmen in der Schweiz Giftstoffe eingeleitet hatte. Später sind Sie durch den Rhein geschwommen, allerdings nicht, weil er sauber war, sondern weil Sie eine Wette verloren hatten. Darauf legen Sie Wert, so viel Ehrlichkeit muss sein. Sie haben sich also auch dem „bösen“ Wasser ausgesetzt, um eine „gute“ Wette als Ehrenmann zu bezahlen. In Ihrer Zeit als Umweltminister auf Bundesebene fallen Themen wie Umweltverträglichkeitsprüfung, Dioxin-Grenzwerte, FCKW-Verbote und etwas, was heute bereits am Rande ein paar Mal wie ein selbstverständlicher Topos erwähnt wurde: die erste Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio, die eigentlich drohte zu scheitern. Sie tragen den Ehrentitel „Retter von Rio“: Ihnen ist es zu verdanken, dass die Konferenz nicht gescheitert ist.

Und dann kommt schon mal ein historischer Einschnitt, in diesem Fall die deutsche Wiedervereinigung. Da waren Sie daran mitbeteiligt – schon mal zur Übung gewissermaßen – Kernreaktoren zur Herstellung von Energie stillzulegen und abzubauen, etwas, was erstaunlich leise vor sich gegangen ist. Sie wurden dann Bundesminister für Städtebau. Das haben viele für einen Rückschritt erachtet, aber man sollte sich mal verdeutlichen, dass der Potsdamer Platz, der heute voller Gebäude und Straßen und voller Leben ist, dass der Potsdamer Platz einst eine steinerne Wüste war. Wie ein einzelner letzter Backenzahn ragte früher das Weinhaus Huth in die Höhe. Jetzt ist der Platz das Zentrum einer Metropole. Sie haben gewissermaßen in der ersten Zeit als Bundesminister die Umweltpolitik geprägt und im zweiten Amt das steingewordene Gesicht Berlins. Ich persönlich bin der Meinung, dass Sie im zweiten Amt fast ein bisschen zu erfolgreich waren, denn eine der Anforderungen war – geprägt vom gemütlichen Bonn –, dass alles fußläufig erreichbar sein muss. Nun hat die Fußläufigkeit in Bonn doch immerhin so 20 bis 25 Kilometer Ausdehnung gehabt, aber in Berlin ist sie gewissermaßen die berühmte „Töpfer-Meile“: Vom Café Einstein bis zum Restaurant Borchardt kann man alles zu Fuß durcheilen. Die Fußläufigkeit ist eine großartige Sache, aber ich habe manchmal das Gefühl, dass wir da ein bisschen zu eng aufeinander hocken. Vielleicht ist das Raumschiff Berlin ein Problem, weil es zu klein und zu abgeschottet ist. Aber das dürfen Sie natürlich nicht als Kritik verstehen. Es ist ja so, dass Dinge manchmal eine andere Wirkung erzeugen als geplant war.

Sie wurden dann Vorsitzender der Commission on Sustainable Development, der UN-Kommission für Nachhaltige Entwicklung. Und eine berühmte Lebensstrecke zwischen Rhein und Rio, denn Sie wohnen ja immer noch in Höxter, wurde zum Dreieck Rhein – Rio – Nairobi ausgeweitet. Im Jahr 2011 haben Sie die Ethik-Kommission Sichere Energieversorgung übernommen. Und mit Rückgriff auf die katholische Erkenntnis, Allwissenheit sei eine göttliche Tugend, aber den Menschen nicht geschenkt, haben sie argumentiert, dass die angebliche Sicherheit der Kernkraftwerke doch nicht so ganz sicher sei.

Ich glaube, was Sie auszeichnet, ist das Denken in einer langfristigen Perspektive. Sie sind gleichzeitig, wie Berlin gezeigt hat, ein höchst pragmatischer Bauherr, der Häuser hochzieht, die dann auch noch stehen bleiben und den größten Charme entfalten. Und Sie haben durch Ihre Arbeit in der Commission on Sustainable Development große globale Erfahrung gesammelt. Jetzt kriegen Sie einen Preis, was machen Sie damit? Sie sind ja immer noch jemand, der wie verrückt arbeitet. Natürlich habe ich hier die Erklärung der Teilnehmer des 11. Deutschen CSR-Forums von der katastrophalen Situation, den Tod von 900 Flüchtlingen im Mittelmeer, zur Kenntnis genommen. Und wenn man sich diesem Thema nähert, dann stellt man fest, dass wir in Deutschland im Augenblick gefangen sind zwischen zwei Polen. Die Plädoyers für bedingungslose Öffnung und den direkten Weg über das Mittelmeer sind human gesehen zwar höchst akzeptabel, aber sie würden wahrscheinlich eine Situation heraufbeschwören, die dieses Land überfordern könnte. Wenn wir umgekehrt die Tür zu machen, werden wir statt des wirtschaftlichen Bankrotts den moralischen erleben, wenn Menschen bei dem Versuch, ihr Leben positiv zu gestalten, in den Tod gefahren werden. Was ist also die Lösung? Afrika ist über weite Flächen ein Land, das seine Kinder fortstößt, wie vor über 120 Jahren Werner Sombart schon formulierte, und dieses Fortstoßen führt dazu, dass Menschen umkommen. Ich glaube, das ist eine Herausforderung, die mindestens so groß ist, wie die, die Sie bereits bestanden haben. Und wir bitten Sie, diese Herausforderung, dieses Thema mit Ihrem Schwung und mit Ihrer moralischen Integrität anzupacken, denn ich glaube, das ist das Thema der nächsten Jahrzehnte. Vielen Dank und meine Gratulation!“

Hier geht es zur Pressemitteilung.

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