Günter Ederer, Träger des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik 2003, handelt im siebten Teil unserer Artikelserie Deutschland, Europa und die Kriegsschauplätze getrennt ab. Er hält das für sinnvoll, „damit Parteipropaganda, Illusionen und nüchterne Fakten sichtbar werden“.

Bilder zum Herzerweichen: tote Kinder am Strand, Kinder halbtot im kalten Wasser schwimmend, in Pappkartons, um sich vor der Kälte zu schützen. Auf der Route aus den zerbombten Städten Syriens oder auf der Flucht vor den mordlustigen Irren des IS nach Deutschland spielen sich tagtäglich unvorstellbare Szenen menschlichen Leidens ab. Wir alle sind hautnah dabei, auf der Couch vor dem Fernsehbildschirm. Wer genauer hinsieht, entdeckt aber auch die Scharen junger Männer unter den Flüchtigen, hört von gewalttätigen Auseinandersetzungen unterschiedlicher Volksgruppen und religiös bedingten Übergriffen. Und während die Mehrheit der Fernsehkonsumenten die Eindrücke zunehmend verwirrt aufnimmt, löst sie bei einem beachtlichen Teil der Menschen eine unerwartete Hilfsbereitschaft aus und bei einem anderen Teil eine gefährliche Melange aus Angst, Wut und Hass bis hin zu kriminellen Übergriffen.

Je länger wir Zeugen dieser Völkerwanderung in unser Land werden, umso mehr werden die Szenen überlagert von parteipolitischen Auseinandersetzungen, wie diese Menschenflut zu stoppen oder auch nur in gelenkte Bahnen zu bringen ist. Die Berichterstattung kümmert sich mittlerweile mehr um die Auseinandersetzungen in der Politik als um die Probleme. Während die nutzlosen Machtspiele das Vertrauen der Bevölkerung beschädigen, melden die betroffenen Helfer an den Grenzen jeden Tag den Zustrom weiterer Zehntausender, die zu uns kommen, wobei die Verantwortlichen nicht mehr wissen, wer da kommt.

Die meisten der in den Parteizentralen ausgearbeiteten Erklärungen hören sich an wie Beschwörungen aus einer virtuellen Welt. Sie kreisen um drei Themenkomplexe: (1) die Einwanderung und ihre Folgen in Deutschland. Grundtenor der staatstragenden Parteien: Die Hilfsbereitschaft der Deutschen ist überwältigend, und wir schaffen das, wenn wir nur wollen – wobei völlig offen bleibt, was da geschafft werden soll; (2) die Einforderung der europäischen Solidarität; (3) die Beseitigung der Ursachen der Flucht. Diese drei Ebenen – Deutschland, Europa und die Kriegsschauplätze – werden dabei je nach parteipolitischer Ausrichtung und dem dazugehörigen moralischen Imperativ durcheinander geschüttelt. In den folgenden Absätzen werden sie getrennt abgehandelt, damit Parteipropaganda, Illusionen und nüchterne Fakten sichtbar werden.

Die Kriegsschauplätze und die Quelle der Völkerwanderung

Es ist nicht hilfreich, darüber zu spekulieren, wer am Ausbruch der Kriege schuld ist, weil es dafür sehr viele Ursachen gibt. Da geht die jahrzehntelange Saat des von Saudi-Arabien gesteuerten Wahhabismus auf, jener radikalen intoleranten Umsetzung des Korans, die jeder säkularen demokratischen Staatsform den Dschihad, den Gotteskrieg entgegensetzt. Dies wurde und wird vom Westen geduldet. Gleichzeitig inspiriert der Iran die Schiiten mit ihrem Islam, den die Sunniten mit einer religiös bedingten Todfeindschaft bekämpfen. Die Vorstellung, in der islamischen Welt – die neben der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen für sich ihre eigene „Menschenrechtserklärung“ verabschiedet hat, in der weder die Rechte der Frau noch des Individuums vorkommen – eine westliche Demokratie zu errichten, ist ein Irrtum, dem nicht nur die US-Amerikaner unterliegen.

Die Anziehungskraft der „westlichen Werte“ wird immer geringer, weil dieser Westen – und dazu gehören vor allem die Amerikaner und Europäer – keine Hemmungen hat, Diktatoren aller Schattierungen zu hofieren, wenn er sich davon Vorteile verspricht. Wie verkommen der Westen agiert, zeigen die vielen Erklärungen von „Intellektuellen“ und Politikern bis hin zu Staatschefs, die die Auffassung vertreten, Massenmörder wie Gaddafi, Saddam Hussein und Assad seien immer noch das kleinere Übel als das Chaos, das jetzt herrsche. Dabei sind die Ursachen für die Auflösung der staatlichen Ordnung in jedem dieser Staaten anders. Vor allem aber die Linken ordnen alle Probleme ihrem blinden Antiamerikanismus unter, der sich bis weit ins bürgerliche Lager ausbreitet. Ob Lafontaine, Gysi oder Sahra Wagenknecht: Jeden Talkshow-Auftritt nutzen sie, um den Stopp von deutschen Waffenlieferungen zu fordern, als ob es deswegen einen Flüchtling weniger gäbe, der vor den Fassbomben Assads oder den mit Schwertern köpfenden IS-Terroristen flieht.

Die Friedensbeschwörung der Grünen hilft genauso wenig wie die Versicherungen der staatstragenden Parteien CDU und SPD, jetzt müsse man ohne Vorbedingungen das Gespräch mit allen Beteiligten suchen. Die Versäumnisse liegen Jahre zurück. Als Assad anfing sein Volk zu bombardieren, gab es noch keine IS in Syrien. Wohl aber begannen die Syrer, aus ihren Städten und Dörfern zu fliehen; niemand griff ein. Große Teile der syrischen Armee desertierten, kämpften sogar gegen Assad; sie wurden kaum unterstützt. Die USA zogen eine rote Linie: Wenn Assad Giftgas einsetzen sollte, würden sie ihn verjagen. Er setzte Giftgas ein, aber die Russen retteten Assad mit der Zusage, er würde sein Giftgasarsenal abliefern. Seither tötet Assad sein Volk mit Fassbomben, die er von Helikoptern abwirft. Welch ein Zynismus: Es zählt nicht, dass ein Mörder mordet, es zählt nur, wie er mordet.

Gebetsmühlenhaft beschwört der Westen, voran die Bundesrepublik, dass militärisches Eingreifen keine Lösung darstellen würde. Und so treffen sich die Diplomaten und Außenminister, reisen von Konferenz zu Konferenz ohne Ergebnis, während die Menschen in Syrien fliehen und sterben. „Gewalt ist keine Lösung“, beschwören die Friedensbewegten. Aber die Passivität des Westens hat die Gewalt in der Region massiv befördert, und sie wächst. Mittlerweile sind große Teile Syriens und des Iraks unter der Gewaltherrschaft des IS, kämpfen Soldaten aus dem Iran und des Libanon für Assad, bombardiert eine Koalition der Amerikaner halbherzig den IS, bekämpfen die Russen alle Assad-Gegner, die Türkei die Kurden, liefern Saudis und das Scheichtum Katar Waffen an die Kämpfer der Al-Qaida-Brigaden – und weit über zehn Millionen Menschen sind auf der Flucht.

Es geht nicht darum, dass wir die weitgehend ausgedünnte und technisch verrottete Bundeswehr in den Nahen Osten schicken. Aber es geht auch nicht, dass in Deutschland ein politisches Klima erzeugt wird, das von Friedensträumern oder besser Friedensscharlatanen bestimmt wird, die das westliche Militärbündnis als verbrecherischen Aggressor abstempelt, aber keine Hemmungen hat, autoritäre Mörder zu entschuldigen oder gar mit ihnen zu sympathisieren. Das jetzt entstandene militärische und politische Chaos im Mittleren Osten, das die heutigen Flüchtlingsströme auslöst, hat spätestens vor zwei Jahren begonnen. Wie viele Helikopter mit Fassbomben hätte das westliche Bündnis abschießen müssen, um die Zerstörung der Städte Syriens zu verhindern: drei, vier oder fünf? Es wäre das Signal an den Diktator gewesen: „Bis hierher und nicht weiter.“ Es wäre das Signal an die Welt gewesen, dass der Westen seine Werte noch nicht aufgegeben hat. Und es wäre ein Signal an die Millionen Syrer gewesen, die in den Flüchtlingscamps der Türkei, Jordaniens und des Libanon dahinvegetieren, dass ein Ende des Bürgerkriegs in Sicht ist.

Heute geht das kaum noch. Es könnte sein, dass der Helikopterpilot ein Russe ist. Was dann passiert, ist unberechenbar. Heute ist der Westen – und da auch wieder die deutsche Bundeskanzlerin – sogar bereit, über und mit Assad zu verhandeln. Das bestimmen die nicht so zimperlichen Russen. Und wir sind in die missliche Lage gekommen, dass wir dem autoritären türkischen Herrscher Erdogan wieder nachlaufen, ihm Geld anbieten, dass er doch bitte schön mitspielt in unserem Konzert der Misstöne. Ja, wir lassen uns sogar von ihm die Bedingungen diktieren, wenn er nur die Flüchtlinge bei sich behält, obwohl die das überhaupt nicht mehr wollen. Die Reise mitten im türkischen Wahlkampf der Kanzlerin zum Undemokraten Erdogan ist mehr als ein Symbol der Hilflosigkeit des westlichen Heraushaltens aus den Wanderdünen des Krieges: Es ist die Bankrotterklärung für Angela Merkels Außenpolitik.

Daher lautet ein Fazit: Die Beschwörung der deutschen Parteien und der europäischen Mammutkonferenzen, der Flüchtlingsstrom müsse an seinem Ursprung bekämpft werden, ist nichts als nutzlose Rhetorik. Das passiert vielleicht in einigen Jahren, wenn die Gegend ausgeblutet ist. Und damit hofft die deutsche Parteienlandschaft, sich nicht doch noch direkt in irgendeiner Form daran beteiligen zu müssen, Menschen vor der Ermordung zu schützen.

Die Einforderung der europäischen Solidarität

Das Flüchtlingsproblem ist eine europäische Herausforderung und muss von allen europäischen Staaten gemeinsam bewältigt werden. Das hört sich sehr gut an, ist aber weder faktisch möglich noch inhaltlich gerechtfertigt. Deutschland hat zurzeit Vollbeschäftigung, hervorragende Steuereinnahmen, ein Geburtendefizit und eine orientierungslose Ausländer- und Bevölkerungspolitik. Wenn dieses Deutschland die europäischen Verträge von Dublin und Schengen bricht und aus „humanitären“ Gründen seine Grenzen bedingungslos ohne Absprachen mit den anderen Europäern öffnet, dann ist das kein Grund, von den anderen Staaten jetzt Solidarität einzufordern. Das haben die Bundeskanzlerin und mit ihr die Fraktionen der Gutmenschen selbst zu verantworten.

Welch ein Hochmut treibt deutsche Politiker, von den postkommunistischen Staaten Osteuropas zu verlangen, sie müssten jetzt Flüchtlinge aus einer ganz anderen Kultur aufnehmen, denen sie nichts als eine vorrübergehende Unterkunft bieten können. Ihre Wirtschaft ist noch lange nicht auf dem Niveau der Westeuropäer. Sie leiden unter hoher Arbeitslosigkeit, unsicheren politischen Verhältnissen und einem niedrigen Lebensstandard. Wer Verantwortung in diesen Staaten hat, weiß am besten, dass da die Aufnahme von muslimischen jungen Männern ohne Ausbildung und sehr fremden Sprachen ein Sprengsatz wäre, der die mühevolle Stabilisierung der letzten 25 Jahre schnell zum Einsturz bringen würde – in die Hände rechtsnationalistischer antieuropäischer Gruppierungen. Und wie viele Flüchtlinge sollen diese meist kleinen Staaten aufnehmen? Mehr als ein paar Tausend könnten es eh nicht werden, etwa so viele, wie zurzeit täglich über die bayerische Grenze kommen? Was würde das angesichts der vielen Millionen potenzieller Flüchtlinge am Gesamtproblem ausmachen? Die in diesem Zusammenhang viel gescholtenen Polen haben 50.000 Ukrainer aufgenommen, die vor dem Bürgerkrieg geflohen sind, der übrigens 1,5 Millionen Menschen vertrieben hat – dank Russland, das jetzt in Syrien als Ordnungsmacht auftritt. Diese Hinweise auf die Osteuropäer sind nichts anderes als deutsche Arroganz – jene Eigenschaft, die uns immer so beliebt macht. Dieses Mal kommt sie als Moralweltmeister daher.

Andere Nationen wie die Franzosen, Briten, Iren, Isländer und zum Teil die Niederländer und Skandinavier haben kein Geburtendefizit. Sie brauchen keine jungen Einwanderer, weil sie nicht überaltern. Sie haben eine nächste Generation. Alle die Begründungen, warum wir Deutsche froh sein sollten, weil da die Zukunft einwandert, treffen für diese Staaten nicht zu. Von ihnen können wir nur erwarten, dass sie entsprechend ihrer Leistungskraft helfen, das Flüchtlingselend zu mildern. So wie Großbritannien, das 3,5 Milliarden Euro an die Flüchtlingslager im Nahen Osten überwiesen hat, mehr als jedes andere europäische Land und auch viel mehr als die Bundesrepublik. Bleiben noch die südeuropäischen Staaten. Was soll Spanien mit über 20 Prozent Arbeitslosigkeit und einer noch höheren Jugendarbeitslosigkeit mit arabischen Flüchtlingen? Oder Portugal? Der kleine Staat hat nach der Nelkenrevolution 1974, als die Kolonien selbständig wurden, zwei Millionen Flüchtlinge bei acht Millionen Einwohnern aufgenommen und hat damit bis heute noch zu tun.

Die Forderungen, Europa müsse den Deutschen bei ihrer Flüchtlingsflut helfen, taugen nur den Politikern als Ausrede. Dass sie den europäischen Gedanken schwer beschädigen, nehmen sie dabei in Kauf. Die Aufgabe der vielen Brüsseler Konferenzen dagegen ist es, die Verträge von Dublin und Schengen entweder durchzusetzen, der neuen Situation anzupassen oder sie einfach abzuschaffen. Unerträglich ist, dass sie gebrochen werden und dieser Rechtsbruch hingenommen wird, so wie schon in der Griechenland-Frage die Verträge von Maastricht über Bord geworfen wurden. Ein Europa, in dem geltendes Recht nur auf dem Papier steht, hat seine Existenzberechtigung schon aufgegeben. Es wird krachend scheitern – ausgelöst nicht zuletzt von denen, die in ihren Sonntagsreden gern eine Europa-Romantik predigen.

Die Folgen der Einwanderung für Deutschland

Wie anfangs erwähnt, dreht sich die Berichterstattung über die Flüchtlingskrise zunehmend um die Frage: Ist das Ende von Kanzlerin Merkel nahe?, oder: Hält die Koalition?, oder: Siegt Seehofer über Merkel? Das sind alles parteipolitische Machtspiele, die mit der Lösung der täglichen Probleme, nämlich der winterfesten Unterbringung von hunderttausenden Menschen sowie deren Versorgung mit Kleidung und Nahrungsmitteln, nichts zu tun haben. Selbst wenn Merkel morgen stürzt, ändert sich an der Herausforderung nichts. Auch der ungebrochene Zustrom wird nicht abreißen, egal ob sich die Bayern mit ihren Transitzonen an der Grenze durchsetzen oder die SPD mit ihren Einreisezentren. Es könnte sein, dass es etwas geordneter zuginge, dass wir wieder zunehmend wissen würden, wer in dieses Land gekommen ist. Aber wir sind noch weit davon entfernt, ein Ausländer- und Asylrecht durchzusetzen, das von der Bevölkerung akzeptiert und von den Behörden umgesetzt wird. Die hektischen Veränderungen einiger Asylbestimmungen zeigen aber doch, dass das bestehende Asylrecht häufig nicht praktikabel war.

Vor 15 Jahren machte ich einen Beitrag für das ARD-Magazin Fakt in der Region Arnsberg im Sauerland. Der CDU-Bürgermeister Hans-Josef Vogel beschwerte sich damals, dass völlig integrierte ehemalige Flüchtlinge aus dem Balkan unter skandalösen Umständen abgeschoben wurden. Nachts kam die Polizei und holte die Familien ab: Männer mit festen Arbeitsplätzen, Kinder mit hervorragenden Noten in der Schule, Mütter mit Putzstellen als Nebenverdienst. Sie wurden auf einen Parkplatz an der A44 bei Soest gebracht. Dort wurde ihr Gepäck gewogen, und alles, was über 20 Kilo wog, musste zurückbleiben. Dann ging es ab zum Flughafen Münster/Osnabrück, und am Morgen waren sie schon in ihrem balkanischen Ursprungsland. Unternehmer, vor allem Handwerker, warteten morgens vergeblich auf ihre Arbeiter, in der Schule fehlten ohne Begründung die Kinder. Keine Intervention nutzte. Der damalige SPD-Innenminister von Nordrhein-Westfalen Fritz Behrens verweigerte uns eine Stellungnahme. Deutschland schob gut integrierte Menschen ab – ohne Sinn und Verstand.

Ein anderes Beispiel: In Berlin besetzen zugewanderte Afrikaner, deren Asylantrag abgelehnt wurde, einen Park und eine Schule im Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain. Es kommt zu Gewalt und Rechtsbrüchen, aber hier wird das Recht nicht durchgesetzt. Die Zuwanderer werden von vernebelten Multikulti-Advokaten und einer hilflosen Verwaltung geschützt. Zwei von unzähligen Beispielen, wie dieser Staat bisher mit Ausländern umgegangen ist. Der Flüchtlingsstrom, der bald die Millionengrenze überschreiten wird, wäre zu schaffen. Das glaube ich ganz sicher. Aber nicht mit unseren Ausländergesetzen und noch weniger mit ihrer Anwendung und nicht mit unserer „verregelten“ Wohlfahrtsgesellschaft. Darüber hat Frank Schäffler hier in den Standpunkten einen hervorragenden Beitrag geschrieben.

Im Mittelpunkt der aktuellen Herausforderung kann und darf nur die humanitäre Hilfe zählen. Hier kämpfen Menschen ums Überleben, sind zurückgeworfen ins Nichts. Alle Appelle, dass unsere christliche Kultur, unsere europäischen Werte oder kurz: unsere Menschlichkeit bedingungslos gefordert sind, sind berechtigt. Und das hat nichts mit unserem Schuldkomplex zu tun, den mir Leser eines anderen Beitrags, den ich geschrieben habe, vorwerfen. Nein, wir helfen, weil sich das gehört. Doch gerade weil wir helfen sollten – ohne auf junge Arbeitskräfte zu schielen, die einmal unsere Rente bezahlen oder als Pfleger die gebrechlichen kinderlosen Alten betreuen können –, ist es umso wichtiger, dass wir unterscheiden zwischen politisch Verfolgten, denen wir Asyl gewähren, zwischen Flüchtlingen aus Kriegsgebieten, denen wir Schutz vor Not und Tod anbieten, und den Milliarden Menschen, denen es wirtschaftlich schlechter geht als den Mitteleuropäern. Für jede dieser Betroffenengruppe gilt es, entsprechende Regeln zu schaffen, die dann auch unbedingt eingehalten werden müssen.

Wir werden diese noch lange nicht abreißende Völkerwanderung nicht bewältigen, wenn wir die dadurch entstehenden Probleme verharmlosen oder gar verdrängen. Das beginnt damit, dass ein praktikables Aufenthaltsrecht geschaffen wird, das dann auch durchgesetzt werden muss. Wer kein Bleiberecht hat, wird abgeschoben, schnell und ohne finanzielle Zuwendungen in der Übergangsphase. Wer hier bleiben kann und will, muss an Integrations- und Sprachkursen teilnehmen. Wer das deutsche Grundgesetz ablehnt, muss das Land verlassen. Die Angst vor der Islamisierung besteht auch, weil die Multikulti-Prediger Verständnis für eine Religion und eine Kultur verlangen, die in ihrer Intoleranz Rechte fordert, die weit hinter unserer säkularen Zivilisation zurückbleiben. Nicht nur die Bundesrepublik, ganz Europa muss eine klare Abgrenzung gegenüber einem Islam durchsetzen, der den Koran als oberstes Gesetzbuch verlangt. Dazu gehören die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die zivile Ehe, das deutsche (europäische) Erb- und Familienrecht, die Regeln im Schulalltag etc. Dazu gehört auch, dass diejenigen, die einwandern, sich Mühe geben sollten, die in Mitteleuropa bestehende Leitkultur zu akzeptieren.

Wer das gleich als Islamophobie bezeichnet, darf sich nicht wundern, wenn sich immer mehr Menschen aus Angst radikalisieren. Die Bundesregierung sollte auch prüfen, ob es angesichts des Terrorismus und der damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen angebracht ist zu verbieten, den Wahhabismus zu predigen und zu propagieren, und ihn mit einer terrorostischen Organisation gleichzusetzen – auch wenn das zu Spannungen mit Saudi-Arabien führt. Die Bewältigung des Flüchtlingsstroms wird jedenfalls nicht gelingen, wenn jeder, der auf die Gefahren hinweist, die mit dieser Völkerwanderung verbunden sind, gleich in die Nazi-Ecke gedrängt wird, und wenn jeder, der Angst vor dem Fremden hat, und sei sie noch so unberechtigt, gleich mit Mob und Pack beschimpft wird. Zum Risiko für die Einwanderung gehört auch die Überforderung der Bevölkerung, die, wie Wahlergebnisse in ganz Europa zeigen, nicht nur auf Deutschland beschränkt ist. Auch auf sie muss Rücksicht genommen werden. Denjenigen, die Hilfe brauchen, soll auch geholfen werden können.

Nach den Ausschreitungen in Heidenau verlangte auch das linke Spektrum, dass der Staat uneingeschränkt sein Gewaltmonopol einsetzt und die Täter bestraft. Da darf es keine noch so versteckte Nachsicht geben. Die Gesetze wegen politisch motivierter Gewalttaten reichen offensichtlich nicht aus. Die datenrechtlichen Beschränkungen bei den Ermittlungen müssen überdacht werden – und nicht erst, wenn es Tote gegeben hat. Diejenigen, die jetzt mit Recht die volle Härte des Staates gegen rechtsradikale Gewalttäter fordern, wären allerdings glaubwürdiger, wenn sie dies auch gegen die Linksradikalen, Autonomen und Antifa-Gruppen fordern würden, die seit Jahren und oft mit Unterstützung von Abgeordneten für sich entscheiden, wann Gewalt gerechtfertigt ist und wann die „Bullenschweine“ bekämpft werden dürfen. Vielleicht bringen die Übergriffe gegen die Flüchtlinge manchen Landtags- und Bundestagsabgeordneten zum Nachdenken.

Eine Schlussbemerkung

Wer, wie ich, fast sein ganzes Leben im Ausland gearbeitet hat, also meistens ein Ausländer war, und in dessen Familie Menschen mit ursprünglich vier verschiedenen Nationalitäten zusammenleben, der hat keine Angst. Aber ich bin deswegen nicht ein besserer Mensch als die ängstlichen Ostdeutschen, die von einem Regime eingesperrt wurden und daher keine Weltläufigkeit entwickeln konnten. Alles Fremde macht erst einmal Angst. Ich lade Sie ein zu den Delikatessen, die ich als Gast angeboten bekam: frische Hammelaugen, rohes Ziegenhirn, lebender Oktopus, Käse mit lebenden Maden und gegrillte Innereien mit Schafsdärmen umwickelt. Das ist mir alles gut bekommen. Bevor Sie über die ängstlichen Demonstranten Ihre politisch moralische Empörung ausbreiten, gehen Sie meine Speisekarte durch und fragen sich, wovor es Sie ekelt – so ähnlich geht es denen, die wegen einer Masseneinwanderung unbekannter Menschen Alpträume bekommen.

Der Autor ist Wirtschaftspublizist, Filmproduzent und Buchautor. Er hat unter anderem einige Jahre als ZDF-Reporter im Iran („Blut und Öl für Allah“) und in Saudi-Arabien („Das Märchen von 1000 und einer Milliarde“) gearbeitet.

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