Professor Joachim Starbatty (MdEP), Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung, konstatiert, die EZB habe den Pfad der Stabilitätskultur verlassen und agiere bewusst politisch.

Das Kraftwort von EZB-Chef Mario Draghi vom 26. Juli 2012 – „whatever it takes“ – steht für eine Zäsur der europäischen Geldpolitik. Versuchte die EZB zuvor wenigstens den Anschein einer Kultur geldpolitischer Stabilität zu wahren, so ist ihre Politik nun zum Spielball der Politiker geworden.

Die Eurozone hat sich von den Folgen der Finanz- und Staatsschuldenkrise noch immer nicht erholt. Das Wachstum stagniert; das reale Pro-Kopf-Einkommen ist heute  in vielen Ländern geringer als vor zehn Jahren. Die bereits zu Beginn ökonomisch und politisch heterogenen Mitgliedstaaten des Euroraums driften noch weiter auseinander. Eine zunehmend polarisierte europäische Politik, unwillig oder unfähig zu schnellen und tiefgehenden Reformen, kann diese zentrifugale Entwicklung nicht aufhalten. Sie tanzt stattdessen um das goldene Kalb des Euro. Als „Retter“ in der Not kommt nur die EZB infrage, die durch immer größere Anleihekaufprogramme und immer niedrigere Zinsen das falsch konzipierte Konstrukt „Eurozone“ zusammenhält.

Der negative Zins verdreht die ökonomische Logik

Was hat sich durch die Zäsur verändert? Die EZB experimentiert mit einer Geldpolitik, die im besten Fall fahrlässig und real höchst gefährlich ist, denn durch ihre Negativzinspolitik dreht sie die ökonomische Logik auf den Kopf. Negative Zinsen belohnen Schuldner und bestrafen Sparer. Draghis Politik übertrumpft noch die ultralockere Geldpolitik in den führenden Industrienationen, die in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends zu Vermögenspreisblasen in den USA und Europa führte. Der derzeit negative Einlagenzins von minus 0,4 Prozent geht insbesondere zulasten des traditionellen Bankgeschäftes, denn er belastet diejenigen Banken, die Geld bei der EZB einlegen. Ginge es nach Draghi, so sollten Banken das Geld stattdessen an Unternehmen verleihen, um dadurch die Investitionen stärken. Vielen Banken ist dieses Risiko jedoch zu groß, denn sie fürchten Ausfälle aufgrund der schwächelnden Wirtschaft. Lieber nehmen sie negative Zinsen in Kauf oder denken über verstärkte Bargeldhaltung nach.

Die EZB agiert bewusst politisch

Was also tun, um Banken zur Kreditvergabe zu zwingen? Die EZB hat nun einen Weg gefunden, um Ausweichstrategien der Banken zu verhindern: die Einschränkung des Bargelds. Mit der Abschaffung der 500-Euro-Note fängt sie an. Selbstverständlich nutzen die wenigsten die Banknote im alltäglichen Gebrauch, weshalb sie als Zahlungsmittel eigentlich nicht notwendig ist. Ihre Daseinsberechtigung besteht in der Wertaufbewahrungsfunktion. Wollen Sparkassen und Volksbanken den negativen Einlagenzinsen der EZB ausweichen, benötigen sie selbst bei einer Ersetzung der 500-Euro-Scheine durch 200-Euro-Scheine schon die zweieinhalbfache Tresorkapazität. Das dezidiert politische Agieren der EZB zeigt sich in der Begründung, die der Abschaffung der 500-Euro-Note zugrunde liegt. Das Argument stellt auf deren Verwendung bei kriminellen Machenschaften ab. Im Lissabon-Vertrag ist freilich eine solche Aufgabenstellung nicht vorgesehen.

Deutschland wurde bei Einführung des Euro eine „europäische Bundesbank“ versprochen, deren Stabilitätskultur der Deutschen Bundesbank in nichts nachstehen würde. Es war damals schon abzusehen, dass dieses Versprechen durch politische Kungeleien unterminiert werden würde – etwa über die vertragswidrige Halbierung der Amtszeit des ersten EZB-Präsidenten, damit ein Franzose, Jean-Claude Trichet, das Steuerrad früher in die Hand bekäme. Der Euro ist ein politisches Konstrukt und verlangt folgerichtig eine politische Zentralbank. Das reduziert die EZB zunehmend zum Feuerwehrmann der Politik und Erfüllungsgehilfen einer falsch konstruierten Währungsunion.

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