Die Europäische Zentralbank hat am 22. Januar 2015 eine für die europäische Geldpolitik schicksalhafte Entscheidung getroffen. Mit ihrem gigantischen Programm des „Quantitative Easing“ (QE) verabschiedet sie sich endgültig vom geldpolitischen Wertekanon, für den über Jahrzehnte die Deutsche Bundesbank stand.

Mit dem angekündigten Kauf von Staatsanleihen – für insgesamt 1.140 Milliarden Euro – monetisiert die Europäische Zentralbank (EZB) künftig wie selbstverständlich Staatsschulden über die Notenbankpresse. Das hat mit ihrem Mandat nichts zu tun. Die Zentralbank treibt Aktien- und Immobilienmärkte in Höhen, die nichts mit werthaltigen Fundamentaldaten zu tun haben, sondern vor allem auf einer durch grenzenlose Notenbankliquidität hervorgerufenen Spekulation beruhen. Sie refinanziert Banken, die sich mit Staatsanleihen von Euro-Krisenstaaten vollgepumpt haben und kauft ihnen diese Risiken jetzt ab. Damit hält sie Banken mit QE-Subventionen am Markt, die längst zahlungsunfähig wären, und verhindert so Strukturanpassungen in der (süd-)europäischen Bankenlandschaft – mit allen Langfristrisiken.

Enteignung der Sparer durch Nullzinspolitik

Mit ihrer Nullzinspolitik, die sie nun schon lange praktiziert und noch lange weiter praktizieren will, schaltet die EZB den Zins als Risikoprämie aus. Überschuldete Staaten und private Gläubiger kommen günstig an Kredite, während die Sparer durch die Nullzinspolitik enteignet werden. Der Immobilienkauf auf Pump, die Spekulation an den Finanzmärkten auf Pump: War das nicht das Ausgangsszenario für die Finanzkrise im Jahr 2008 in den USA, in Spanien, in Großbritannien und anderswo? Doch die aktuelle Politik des Mario Draghi, der dafür inzwischen eine große Mehrheit im EZB-Vorstand organisiert hat, scheint sich um die gigantischen Risiken und Nebenwirkungen nicht zu kümmern. Die Notenbank setzt mit ihrer beispiellosen Politik ein Fanal gegen verantwortliches Handeln: bei Staaten wie in der Privatwirtschaft.

Notenbankliquidität ersetzt auf Dauer keine Ordnungspolitik. In der realen Welt braucht es marktwirtschaftliche Steuerungsmechanismen, die ihre Stresstests im Wirtschaftsalltag schon millionenfach bestanden haben. Auf diesen Erfahrungen fußten die europäischen Verträge, die der Währungsunion zugrunde liegen. Auf diesen Erfahrungen gründete die No-bail-out-Klausel, die jeden überschuldeten Mitgliedstaat in der Eurozone zur Eigenverantwortung verpflichtete. Dieses Haftungsprinzip gilt für Hunderte von Millionen EU-Bürgern tagtäglich: Sie müssen für falsche Entscheidungen persönlich den Kopf hinhalten, ob als Arbeitnehmer oder Unternehmer. Sie haften mit ihren Privatvermögen im Fall der Pleite, sie bezahlen hohe Kreditzinsen für permanent überzogene Konten. Ihnen stellen die Gläubiger bei schlechter Bonität nach wie vor Risikoaufschläge bei den Zinsen in Rechnung.

Eurozone ist zur Haftungsgemeinschaft mutiert

Doch für Griechenland oder Italien gelten diese Regeln schon lange nicht mehr. Und für die privaten Gläubiger dieser Staaten (Großbanken, Versicherungen, Hedgefonds) galten sie auch nicht. Sie wurden – dank der EZB und der europäischen Regierungen – von der Haftung befreit. Ihnen haben die Steuerzahler in den vergangenen Jahren praktisch alle Risiken abgenommen. Statt überschuldete Staaten in die Insolvenz zu entlassen, damit sie wieder einer Neustart hinbekommen können, ist die Eurozone zu einer Haftungsgemeinschaft mutiert, die für die Fiktion einer Gemeinschaftswährung gigantische Vermögenstransfers organisiert. Da eine griechische Staatspleite viele private Gläubiger vor fünf Jahren um ihr Geld gebracht hätte, wurde geradezu hysterisch vor allem in der Finanzwelt aus durchsichtigem Eigeninteresse vor Domino-Effekten gewarnt. Die Politik ging dieser geschürten Hysterie auf den Leim. Sie organisierte Rettungsschirme der Steuerzahler und schaffte damit die Voraussetzungen, dass im Lauf der letzten Jahre das komplette private Gläubigerrisiko zum Staat wanderte.

Und genau an dem Punkt stehen wir jetzt. Verlangt ein Euro-Krisenland einen Schuldenschnitt oder verlässt es die Währungsunion, dann müssen die Steuerzahler der Euro-Mitgliedstaaten haften. Die professionellen privaten Ursprungsgläubiger, die immer gegen die No-bail-out-Klausel gewettet hatten und deshalb Griechenland und anderen kritischen Euroländern fast gleich günstig Kredite gaben wie Deutschland, haben sich einen schlanken Fuß gemacht. Dieses Spiel ist komplex genug, um für die breite Öffentlichkeit nicht wirklich durchschaubar zu sein. Die Medienlage tut ihr Übriges. Dass in den Tagen vor der EZB-Entscheidung die Aufregung um „Pegida“ die Schlagzeilen beherrschte, belegt anschaulich, wie TV-Politik und Print-Leitmedien die wahren Probleme der Gegenwart ausblenden.

Geldwertstabilität, für die eine europäische Zentralbank vorrangig zu sorgen hätte, ist elementar, um für Vertrauen der Wirtschaftsakteure zu sorgen. Die EZB macht mit ihrer Politik den Euro zur Weichwährung. Sie nimmt Handlungsdruck von der Politik. Und sie lebt vor, dass ordnungspolitische Grundüberzeugungen, auf denen der Erfolg unserer Wirtschaftsordnung beruht, ihr gleichgültig sind. Die Politik wird ihr, fürchte ich, auf diesem verhängnisvollen Weg folgen. Wir erleben die Kapitulation der Ordnungspolitik.

Der vorliegende Text ist eine leicht bearbeitete Fassung des gleichnamigen Beitrags von Oswald Metzger für den Ökonomenblog.

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