Die Auswirkungen des demografischen Wandels werden in Deutschland nicht in ferner Zukunft, sondern ab 2017 zunehmend sichtbar – vor allem in den Alterssicherungssystemen und auf dem Arbeitsmarkt. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind dann für eine Generation vor erhebliche Herausforderungen gestellt. Die Erkenntnisse liegen seit Jahren, teils seit Jahrzehnten vor. Bisher ist der Wille, diese in politisches Handeln umzusetzen, aber nur schwer erkennbar.

Die Wählerschaft altert. In der Politik führt das zu der fatalen Fehleinschätzung, die älteren und wahlaktiveren Generationen mit sozialen Wohltaten beglücken zu müssen, die zulasten der jüngeren und wahlabstinenteren Generationen gehen. Beispiele dazu finden sich haufenweise in der Rentenpolitik, bei der Beamtenversorgung, in der Kranken- und Pflegeversicherung.

Allerdings: Viele Ältere sind auch Eltern und Großeltern, die sich nicht nur Gedanken um die Zukunft ihrer Kinder und Enkel machen, sondern sie innerhalb des Familienverbandes tatkräftig unterstützen. Mit einer verantwortungsvollen und generationengerechten Politik lässt sich nach meiner Auffassung die Zustimmung einer alternden Wählerschaft gewinnen, selbst wenn für sie damit keine direkten Vorteile verbunden sind. Allerdings müssen verantwortliche Politiker dafür auch mit Leidenschaft streiten.

Nicht die Wählerschaft verhindert eine generationengerechte Politik. Sondern die Politik unterschätzt das Verantwortungsbewusstsein der Eltern- und Großelterngeneration, die man für die Ausgestaltung des demografischen Wandels gewinnen kann. Um die Bereitschaft zum politischen „Mut zu Zumutungen“ zu erhöhen, sind Strukturen im Gesetzgebungsverfahren und in der Administration notwendig, die das fördern. In jeden Gesetzentwurf gehört insbesondere eine verbindliche Gesetzesfolgenberechnung, die das Thema „Generationengerechtigkeit“ einschließt. Außerdem sollte die Zuständigkeit für den demografischen Wandel auf Länder- wie auf Bundesebene in jeweils einem Ministerium konzentriert werden.

These 1: Lebenslanges Lernen muss verbindlich werden

Weniger Kinder und eine hohe Lebenserwartung sind heute das demografische Hauptmerkmal prosperierender Volkswirtschaften. Die Alterung unserer Gesellschaft ist nicht nur von niedrigen Geburtenraten getrieben, sondern ebenso von einer gestiegenen Lebenserwartung. Nicht die Demografie ist für den Fachkräftemangel verantwortlich, sondern eine Bildungspolitik, die das lebenslange Lernen zwar seit Jahren propagiert, aber nicht umsetzt. Die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen wird im frühkindlichen Alter gelegt. Dafür müssen mehr Ressourcen mobilisiert werden.

Die Talente jedes Kindes sind durch pädagogische Angebote – vor allem in der frühkindlichen Phase und im Grundschulalter – zu hegen und zu pflegen. Die kindliche Wissbegier zu nutzen und die Lust am Lernen zu fördern (ohne die Herzensbildung außen vor zu lassen), ist elementar für die Wissenskultur einer Gesellschaft. Dazu müssen auch die Aus- und Fortbildung, die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen der Erzieher- und Lehrerberufe verbessert werden. Ökonomisch macht es mehr Sinn, viele Ressourcen in die frühe Lebens- und Lernphase eines Kindes zu investieren, als etwa Nulltarif-Studienplätze im Erwachsenenalter zu offerieren.

Qualifizierung kennt keine Altersgrenzen. Die Lust an der Fortbildung, die sich durch das Leben zieht wie ein roter Faden, bereichert individuell und beschert volkswirtschaftliche Wohlfahrtsgewinne. Das rohstoffarme Deutschland lebt von möglichst vielen qualifizierten Köpfen. Deshalb muss Fort- und Weiterbildung im öffentlichen Dienst wie in der Privatwirtschaft verbindlich werden.

These 2: Mut zu Kindern, Zeit für Alte – Arbeits- und Privatleben in demografischen Einklang bringen

Privates Glück und immerwährende Verfügbarkeit für die Erwerbsarbeit schließen sich nach aller Erfahrung auf Dauer aus. Angesichts der säkularen Veränderungen der Erwerbsbiografien – massiver Anstieg der Erwerbsquote von Frauen, hohe berufliche Mobilitätserfordernisse in vielen Berufen, Produktivitätssteigerungen durch digitalisierte Prozesse und damit verbundene Verdichtung der Arbeit – muss im individuellen und gesellschaftlichen Interesse die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben, von Beruf und Familie, möglich gemacht werden. Das bezieht sich nicht nur auf die Familienphase, in der Kinder geboren und großgezogen werden. Auch die Pflege der Elterngeneration gehört zu dieser Work-Life-Balance.

Nicht vorwiegend der Gesetzgeber, sondern die Arbeitgeber sollten hier initiativ werden: durch flexible Arbeitsgestaltung (Home-Office, Sabbatjahre, Qualifizierungsangebote in der Familienphase). Denn auf Dauer sind nur zufriedene Mitarbeiter auch hochproduktiv – auch in höherem Alter! Karrieren müssen nicht bis zum 45. Lebensjahr „gemacht“ werden.

These 3: Schrumpfen und Wachsen organisieren – Landflucht versus Urbanisierung

70 Prozent der deutschen Bevölkerung leben inzwischen in Städten. Das Land entvölkert sich, nicht nur in Mittel- und Ostdeutschland, sondern auch in vielen ländlichen Regionen im Westen. Dieser Megatrend ist kaum zu stoppen, schon gar nicht mit neuen „Entvölkerungs“-Subventionen im Länderfinanzausgleich, mit denen das vermeintliche Verfassungsgebot „gleichwertiger Lebensverhältnisse“ erfüllt werden soll. Damit würde nur der strukturelle Anpassungsprozess verzögert.

Metropolen brauchen Unterstützung, um nicht unwirtlich und für Durchschnittsverdiener unbezahlbar zu werden, ländliche Regionen, um neue Stärken zu gewinnen durch schnelle Datenverbindungen und gute Bildungsangebote. Damit werden sie für junge Freiberufler und ihre Familien attraktiv.

These 4: Gezielte Einwanderung statt Asylumwege

Machen wir uns nichts vor: Deutschland ist schon lange ein Einwanderungsland. Wenn in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart, die wahrlich keine Not leidet, mehr als 40 Prozent der Wohnbevölkerung über einen „Migrationshintergrund“ verfügen, dann spricht das für sich. Nach allen bisherigen Untersuchungen führte die Zuwanderung – trotz der hohen Kosten – im Saldo zu einem Wohlfahrtsgewinn für Deutschland. Denn Zuwanderer bereichern nicht nur kulturell, sondern sie bezahlen Steuern und Sozialabgaben. Ein viel größerer Teil der Zuwanderer war schon immer im erwerbsfähigen Alter, was diese positive Kostenbilanz ganz einfach erklärt.

Doch das aktuelle Flüchtlingsdrama in Europa, vor allem in Deutschland, lässt für die Zukunft Zweifel an dieser positiven Einschätzung aufkommen. Vielfach fungiert heute der „Asylantrag“ als Zugangspfad ins prosperierende Deutschland. Wer hier ein besseres Leben sucht, ohne in seiner Heimat politisch verfolgt zu sein, sollte sich auf der Grundlage eines Einwanderungsgesetzes um einen Aufenthaltsstatus bemühen können. Weil Deutschland Zuwanderung braucht, muss sich unser Land die Menschen aussuchen, die hier dann auf eigenen Füßen stehen und arbeiten und für sich und ihre Familien eine langfristige Perspektive erhalten. Ungesteuerte Zuwanderung erschwert die Integration und untergräbt auf Dauer die so oft geforderte Willkommenskultur. Doch ein entsprechendes Einwanderungsgesetz ist noch heute für die konservative Union ein Tabu. Die politische Linke tabuisiert im Gegenzug Einschränkungen beim deutschen Asylrecht, das mit seinem einklagbaren Individualanspruch im europäischen Vergleich fast einzigartig ist.

Über die Jahrzehnte betrachtet sind Jahr für Jahr mehr als 300.000 Menschen nach Deutschland „eingewandert“. Selbst die aktuellste Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamts unterstellt in ihrem mittleren Pfad eine Nettozuwanderung von 200.000 Menschen im Jahr. Doch der aktuelle jährliche Migrationsdruck mit mehr als 1.000.000 Asylbewerbern, Bürgerkriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen, vor allem aus dem arabischen und nordafrikanischen Raum und damit aus einem anderen Kulturkreis, überfordert Deutschland administrativ, gesellschaftspolitisch und wirtschaftlich.

Wer glaubt, dass diese heterogene Masse von Menschen das demografische Problem Deutschlands löst, den Fachkräftemangel beseitigt und die Alterssicherung stabilisiert, der sollte sich die bei Weitem nicht immer geglückte Integration der „Gastarbeitergeneration“ und ihrer Kinder und Enkel in den Parallelgesellschaften deutscher Großstädte anschauen.

These 5: Potenziale der Älteren erkennen – starres Renteneintrittsalter abschaffen!

Bessere Bildung und Ausbildung und damit ein späterer Berufseintritt und die ständig steigende Lebenserwartung bedeuten zwangsläufig einen späteren Renteneintritt. Die Politik kann Adam Riese nicht außer Kraft setzen, auch wenn die Große Koalition mit der abschlagsfreien Rente mit 63 diesen Anschein zu erwecken versuchte. Denn die Faktenlage ist bei einem umlagefinanzierten System eindeutig: Wer länger lebt, muss auch länger arbeiten oder Abschläge auf seine Rente akzeptieren – es sei denn, dass eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vorliegt.

Wer in den 1970er Jahren Hunderttausende von Beamten eingestellt und jahrzehntelang für die Pensionszusagen keine Rücklagen gebildet hat, muss in den kommenden Jahren mit einem exorbitanten Anstieg der Versorgungsausgaben in den laufenden Budgets rechnen. Beamte, die auf die Versorgungszusagen ihres jeweiligen Dienstherrn pochen, werden sich – mangels Masse – mit weiteren Leistungseinschnitten zufrieden geben müssen. Überhaupt sind das Berufsbeamtentum und sein grundgesetzlicher Schutzstatus infrage zu stellen.

Angesichts der Pensionslasten, die in den kommenden zwei Jahrzehnten vor allem die Länderhaushalte zu strangulieren drohen, gehört dieses Relikt aus dem Obrigkeitsstaat abgeschafft.
Um den demografischen Wandel beherrschbar zu machen, muss vor allem die Zahl der Erwerbstätigen und die Zahl der Alimentierten wieder in ein vernünftiges Verhältnis zueinander gebracht werden. Viele Ältere wollen länger arbeiten, als sie dürfen. Altersgrenzen für Erwerbsarbeit sind nicht mehr zeitgemäß. Niemand soll gezwungen werden, länger als bis 67 zu arbeiten. Es soll aber auch niemand daran gehindert werden. Deshalb müssen alle starren Altersgrenzen fallen.

Dieser Meinungsbeitrag basiert auf einem Thesenpapier, das im vergangenen Herbst für den Konvent für Deutschland (www.konvent-fuer-deutschland.de) erarbeitet wurde.

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