Am 8. Oktober 2015 wurde Dr. Nicola Leibinger-Kammüller, Vorsitzende der Geschäftsführung der Trumpf GmbH + Co. KG, in Berlin mit dem Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet. In ihrer Festrede sprach sie über das Verhältnis zwischen Eigenverantwortung und „sozialen Wohltaten“ und rief zugleich auf zu einer „neuen Lust, dieses Land nach vorn zu entwickeln“.

Mit dem Lob und den Preisen – das wissen nicht nur wir Schwaben – ist das ja immer eine zweischneidige Angelegenheit: Einerseits mag man es nicht, wenn um einen viel Aufhebens gemacht wird. Andererseits, so ganz tief im Innern, da freut man sich schon. Und ich will hier freimütig bekennen: Ich nehme mich da nicht aus.

Die Grenzen zwischen Medien und Wirtschaft werden durchlässiger

Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik – offen gestanden, habe ich ein wenig gestutzt, als ich die frohe Kunde aus dem Brief von Herrn Tichy erhielt. Dass man den Chef der Börsen-Zeitung, Claus Döring, mit diesem Preis ehrt: gut und schön. Aber eine Unternehmerin, die sich ums „Gschäft“ kümmert und keine Publizistin ist? Ist heutigen Veranstaltern – klang es unweigerlich in mir – denn gar nichts mehr heilig? Aber nach ein paar Tagen legte sich dieses Gefühl wieder. Ich begann nicht nur, mich auf die Auszeichnung zu freuen, sondern über die Gedanken, die ihr zugrunde liegen mögen.

Es ist wahr: Wir leben in einer Zeit, in der die einstmals klar definierten Grenzen zwischen den Akteuren der Wirtschaft und denen der Medien zwar noch immer existieren, aber fließender geworden sind. Es ist daher so, dass man ins mediale Feld ausstrahlen kann, ohne selbst zur Feder zu greifen. Man wirkt durch Taten oder Ankündigungen derselben – wobei mir Ersteres lieber ist –, die den Zeitgeist zu treffen scheinen. Solche Botschaften werden dann weiter gerollt wie Schneebälle und ergänzt durch das Meinen und Spekulieren derer, die Meinungen produzieren. Und so kann es sein, dass eine Unternehmerin aus dem fernen Ditzingen in Berlin in Erscheinung tritt, obwohl sie sich eigentlich nur um ihre Arbeit gekümmert hat. Wobei, ganz unschuldig bin ich freilich nicht, dass wir hier heute beisammen sind.

Ich will mich an einem solchen Ort – den ich immer mochte, weil er mich an die Aufbruchstimmung des wiedervereinten Deutschland erinnert, als die Tageszeitungen Hauptstadtbüros gründeten und die „Berliner Seiten“ beziehungsweise eine „Berlin-Seite“ schufen – daher auch nicht zu einem Vortrag über das Wesen der Medien hinreißen lassen. Dennoch finde ich, dass das Verhältnis zwischen Medien und Wirtschaft konstruktiver geworden ist (wenn man nicht gerade Abgaswerte manipuliert). Und ich schiebe das nicht allein auf die ökonomischen Zwänge der Verlagshäuser, die ihr Geld zunehmend mit Veranstaltungen oder Verlagsbeilagen generieren und daher – Hand aufs Herz – immer auch ein bisschen nach den Unternehmen schielen.

So sehen Unternehmen heute einen stärkeren Nutzen in der eigenen Markenpflege. Sie schaffen Narrative, geben Werteversprechen weit über das eigentliche Produkt hinaus. Denn die Menschen interessiert das gesellschaftliche Engagement einer Firma, die Art und Weise, wie sie produziert.

Diese ehemals „soften“ Faktoren lassen sich mittlerweile als harte Faktoren im Gesamterscheinungsbild von Unternehmen festmachen. Um dabei authentisch zu sein, bedarf es eines wachsamen Zuhörens, was draußen in der Welt vor sich geht. Wir sind in einem Satz gezwungen, gesellschaftliche Strömungen weitaus stärker als früher zu antizipieren, wenn wir in der viel zitierten Mitte der Gesellschaft bleiben wollen.

Man mag das beklagen, so wie man auch beklagt, dass die Politik ununterscheidbarer geworden sei. Dass niemand mal so richtig auf den Tisch haue, sondern der Konsens in Berlin alles beherrsche. Und dass es schade sei, dass es Figuren wie Willy Brandt, Herbert Wehner oder Franz Josef Strauß nicht mehr gäbe. Doch was für die Politik gilt, gilt für die Wirtschaft nicht minder: Die Zeit des Regierens „ex cathedra“ ist vorüber. Das Einzelkämpfertum ist heute abgelöst durch eine arbeitsteilige und antizipative Gegenwart.

Das Wirtschaften unterliegt nicht anders als die Wissenschaft einer stärkeren Rechtfertigung gegenüber der Allgemeinheit. Und vielleicht – das will ich kritisch anerkennen – ist diese Zeit darum nicht gerade günstig für das Entstehen von Individualität und Freigeisterei, wie es Rüdiger Safranski in seiner Goethe-Biografie ausdrückt: „Die Vernetzung aller mit allen ist die große Stunde des Konformismus.“ – Gleichwohl bin ich überzeugt davon, dass das „Wissen der Vielen“ unter dem Strich besser ist als sein Ruf.

Zwischen Eigenverantwortung und „sozialen Wohltaten“

Ich kann Ihnen in diesem Zusammenhang nicht für den Ludwig-Erhard-Preis danken, ohne noch einen Gedanken in Richtung Soziale Marktwirtschaft an Sie zu richten. Und nachdem ich nun schon Goethe und Strauß ins Spiel gebracht habe, tue ich vielleicht gut daran, kein weiteres Name-Dropping zu betreiben. Sonst verspiele ich die zarte Sympathie gleich wieder, die jeder Preisträger vielleicht unweigerlich erfährt, solange er den Pfad der Bescheidenheit nicht verlässt.

Ich möchte mit Ihnen stattdessen einen Satz teilen, den einer unserer drei Söhne einmal sagte, als wir über sein Haushaltsgeld als Student sprachen. „Mama“, sagte er, „kannst du nicht mal ein bisschen mehr sozial denken – und weniger marktwirtschaftlich?“ Er wollte damit sagen, dass ich sein Salär doch etwas erhöhen solle. Das sei bereits ein Akt sozialen Handelns per se. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen jetzt ersparen, wie sich das Gespräch zwischen Mutter und Sohn weiterentwickelt hat; vielleicht können Sie es sich denken. Aber die kleine Geschichte führt doch zum Kern der Frage: Wann handeln wir sozial? Und wann fördern wir Eigenverantwortlichkeit?

Die Ausschüttung sozialer Wohltaten ist eine der Schattenseiten, die das Orientieren am so vermuteten Stimmungsbild mit sich bringt. Sie ist die kleine Schwester der Regulierungslust, die nicht nur wir im Mittelstand spüren. Jedes noch so theoretische Risiko soll zum „Schutz“ anderer eingegrenzt werden, was uns ungeachtet aller Freiheiten des Reisens und Konsumierens von Informationen ein Stück weit kleinlauter, und ich meine: auch unfreier macht als andere Epochen vor uns. Auch die Große Koalition hat in einer Art vorauseilendem Gehorsam etwa das Rententhema getrieben, obwohl es keinerlei Forderung danach in der Bevölkerung gab – im Gegenteil. Und andere Beispiele gäbe es zu Genüge.

Globaler Wettbewerb und unternehmerische Verantwortung

Die Welt – das vergessen wir indessen – dreht sich mit ungeheurer Geschwindigkeit. Wir müssen daher schneller und agiler als andere sein. Und damit freier. Denn wir sind teurer und arbeiten kürzer. Das gilt sogar für den direkten Vergleich mit der Schweiz, der es im Augenblick wahrlich nicht gut geht – wir kennen das aus unserem eigenen Unternehmen.

„Es läuft schon irgendwie“: Dies ist nicht nur am Beispiel einer so ausgerufenen „Energiewende“ ein verbreiteter Trugschluss. Übrigens auch in unserem Unternehmen, in dem es ziemlich wetterfeste Arbeitsbedingungen gibt. Und vielleicht kann Ihnen die Gefahr dieser Haltung in der Tat kaum jemand glaubwürdiger vermitteln als eine Vertreterin des Maschinen- und Anlagenbaus, der erst in den 1990er Jahren, dann aber nach dem Zusammenbruch von Lehman-Brothers im Jahr 2008 die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg zu durchstehen hatte: Unsere Umsätze brachen um 50 Prozent ein. Und nur durch härteste Anstrengungen und das enge Zusammenrücken aller Beteiligten ist es uns gelungen, das Schiff wieder flott zu machen.

„Wir entlassen niemanden“ war damals unsere Maxime als Familienunternehmen mit einer besonderen Kultur der Verantwortung. Aber wir mussten das Geld dafür hart verdienen beziehungsweise aus dem im Unternehmen gebundenen Vermögen nehmen. Doch das ist nicht nur in der aktuellen Erbschaftsteuer-Debatte für manchen zynischerweise eher ein Argument dafür, dass doch alles nicht so schlimm sein könne.

Was will die Preisträgerin damit zum Schluss sagen? Sie will ganz sicher nicht klagen. Aber sie will für Augenmaß und echte Eigenverantwortlichkeit anstatt des schnellen Rufs nach „Gerechtigkeit“ werben, die bei genauem Betrachten erst zu definieren ist. Die Krise hat uns gelehrt, dass der Anpassungsdruck mittlerweile so stark geworden ist, sodass wir nicht nur Produkte, sondern auch Strukturen und Organisationsformen permanent überdenken müssen. Dass nichts so bleibt, wie es ist.

Benehmen wir uns aber auch danach? Vermitteln wir den Menschen ausreichend, wie groß die Bereitschaft sein muss, um im Weltmarkt mithalten zu können? – Mich beschleicht eher das Gefühl, dass wir uns gern an der gegenwärtigen Konjunktur berauschen. Worte wie „Realwirtschaft“ oder „Mittelstand“ sind beliebt, da sie das Gegenteil einer windigen Finanzwirtschaft zu garantieren scheinen – die „gute“ Wirtschaft eben. Aber wenn ich nachdenke, was wir konkret tun, um dieser mittelständischen Wirtschaft das ohnehin härter werdende Geschäft zu erleichtern, ihr Steine aus dem Weg zu rollen, werde ich trotz meines guten Willens verhalten, werde ich still.

70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs möchte ich daher heute nicht den Geist des Wirtschaftswunders beschwören. Aber etwas von damals – die Lust, dieses Land nach vorn zu entwickeln, etwas zu gestalten – täte uns gut. Und auch von jener Demut, die Krieg und Vertreibung damals gelehrt haben: Dass es ein ungeheures Privileg ist, in diesem Teil der Welt geboren zu sein, in Zeiten des Friedens und Wohlstands. Dies sollte uns angesichts der gegenwärtigen Flüchtlingskrise jeden Tag aufs Neue vor Augen stehen: Dass wir uns anstrengen und stolz auf das Erreichte sein müssen – auch um jenen zu helfen, die sich nicht aus eigener Kraft helfen können.

„Du kannst es schaffen!“, muss unsere Maxime sein. „Du kannst als Philologin einen Maschinenbau-Konzern führen, und du kannst dann irgendwann auch den Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik bekommen!“ In diesem Sinne wünsche ich uns, dass Deutschland den Weg der Sozialen Marktwirtschaft in Zukunft erfolgreich weitergehen kann. Ich danke Ihnen herzlich – und nehme den Preis sehr gern an!

Neben Dr. Nicola Leibinger-Kammüller wurde auch Claus Döring, Chefredakteur der Börsen-Zeitung, mit dem Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik 2015 ausgezeichnet.

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