In der Europäischen Zentralbank wird neuerdings mit Helikoptergeld geliebäugelt. Aber wer Euros vom Himmel regnen lassen will, erklärt seine Geldpolitik für gescheitert.

Man stelle sich vor, es regnet Geld vom Himmel wie einst das Manna für die Israeliten auf ihrem Zug durch die Wüste. Wird etwa endlich die Geldknappheit überwunden, die Nestroy mit seinem Spruch beklagt hat: „Die Phönizier haben das Geld erfunden, aber warum so wenig?“ Dieser Eindruck könnte entstehen, wenn von „Helikoptergeld“ die Rede ist. Geld, das vom Helikopter herabregnet: eine Vision, ein Hirngespinst? Keineswegs, diese Form der Geldschöpfung wird zurzeit ernsthaft diskutiert. Das Abwerfen von Geldscheinen aus einem Hubschrauber würde natürlich zu Tumulten und schlimmen Kämpfen beim Aufsammeln der Geldscheine führen. Der Begriff Helikoptergeld steht also nur symbolisch für die kostenlose Geldverteilung. In der Tat schlagen ansonsten ernst zu nehmende Ökonomen vor, einfach jedem Bürger einen bestimmten Betrag auf einem Konto zur freien Verfügung gutzuschreiben.

Wie kommt man auf diese Idee? Oder fragen Sie etwa: Wieso brauchte es so lange für diesen wunderbaren Einfall? Das Motiv der Urheber ist jedoch nicht etwa, die Menschen mit einem großzügigen Geschenk zu beglücken. Der Grund liegt vielmehr in der Einschätzung, dass die herkömmlichen Methoden der Notenbanken, die Geldmenge und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erfolgreich zu steuern, an die Grenzen der Wirksamkeit gestoßen sind.

Wieso aber kommen manche Ökonomen zu diesem Schluss? Im Gefolge des Zusammenbruchs der Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 erlebten die wichtigsten Industrienationen einen verheerenden Crash auf den Finanzmärkten. Aktienkurse stürzten ins Bodenlose. Das Ausmaß dieser Krise ließ befürchten, die Welt könnte in eine ähnliche Depression wie Anfang der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts verfallen mit der Konsequenz riesiger Arbeitslosigkeit und einem rasanten Verfall der Preise (Deflation). Die Auswirkungen blieben damals in Deutschland nicht auf die Wirtschaft beschränkt. Nicht zuletzt die Massenarbeitslosigkeit bereitete den Boden für den anschließenden Wahlerfolg der Nationalsozialisten.

Schwache Kreditvergabe der Banken

Mit energischen Maßnahmen gelang es den Notenbanken nach 2008, eine Wiederholung dieses Desasters zu verhindern. Die Notenbankzinsen wurden weltweit dramatisch gesenkt. Mit dem massiven Ankauf von Wertpapieren und einer großzügigen Kreditvergabe versuchten die Notenbanken, die Wirtschaft weiter zu beleben. Nachdem der Aufschwung jedoch zunächst sehr verhalten blieb, hielten Notenbanken wie die Federal Reserve (Fed) in den USA, die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank von England die Notenbankzinsen weiterhin auf einem historisch nie da gewesenen Niveau von praktisch null. Inzwischen sind die Zinsen der EZB sogar im negativen Bereich angelangt. Weitere Zinssenkungen verbieten sich, weil sonst die Banken ihre Notenbankguthaben in bar abziehen würden.

Vor allem durch den Ankauf von Wertpapieren wurden die Bilanzen der Notenbanken weltweit aufgebläht. Im Gegenzug erhielten Kreditinstitute von den Notenbanken entsprechende Beträge gutgeschrieben. Diese Guthaben der Kreditinstitute stellen sogenanntes Zentralbankgeld dar. Während also die Zentralbankgeldmenge massiv ausgeweitet wurde, hat sich der Geldumlauf außerhalb des Bankensystems sehr viel weniger erhöht. Das wiederum hat mit der zurückhaltenden Kreditvergabe der Banken zu tun.

Die Ursachen für die zögerliche Vergabe von Krediten in der Eurozone liegen zum einen in der größeren Vorsicht bei der Gewährung neuer Kredite, zum anderen in der schwachen Kreditnachfrage insbesondere in den sogenannten Peripherieländern. Kurz gefasst: Die EZB beklagt, dass ihre sehr expansive Geldpolitik nur bedingt die reale Wirtschaft erreicht. Die massive Geldschöpfung bleibt sozusagen weitgehend in der Bankenwelt „hängen“. Die Zentralbankgeldmenge ist zwar gewaltig gestiegen, aber das Wachstum der Kredite der Banken an die reale Wirtschaft bleibt dennoch schwach.

Bankrotterklärung der Geldpolitik

Hier setzt nun die Idee des Helikoptergelds an. Das Geld soll direkt bei jenen ankommen, die es auch sicher ausgeben werden. Schreibt man etwa jedem Bundesbürger auf einem Konto (etwa bei der Zentralbank) einen bestimmten Betrag gut, so wird erwartet, dass die so Bereicherten mit entsprechend höheren Konsumausgaben reagieren und auf diese Weise die Wirtschaft beleben. Damit steigt die Beschäftigung, die Unternehmen investieren wieder mehr et cetera. Will man diesen Weg nicht gehen, könnten die Notenbanken ihren jeweiligen Regierungen auch einen entsprechenden Betrag zinslos und ohne Rückzahlungsverpflichtung zur Verfügung stellen. Der Staat könnte also mehr Geld ausgeben, ohne dass etwa in Deutschland die Verschuldung des Bundes steigen würde.

Klingt so einfach, geradezu wie ein Wundermittel. Aber wo ist der Haken? Von technischen und rechtlichen Argumenten abgesehen, versetzt das Helikoptergeld die Notenbank in eine Position, in der sie nach eigenem Gutdünken Geld verschenken kann. Wenn sie dies einmal tut – warum dann nicht auch für andere Zwecke? Den Wünschen, dem Drängen der Politik und der Öffentlichkeit wären keine Grenzen gesetzt. Kann die Notenbank unter diesen Umständen dann noch die Kontrolle über die Geldversorgung behalten beziehungsweise wieder zurückgewinnen? Wie lange würde es dauern, bis die Geldvermehrung in hoher Inflation endete?

Der Einsatz von Helikoptergeld wäre eine Bankrotterklärung der Geldpolitik. Es gibt keinen Grund für eine solch extreme Maßnahme. Weder befindet sich die Wirtschaft im Euroraum – und schon gar nicht die der USA – in einem derart hoffnungslosen und katastrophalen Zustand noch ist die Geldpolitik mit ihrem Latein am Ende. Nicht ohne Grund wurde damals im Maastricht-Vertrag die Unabhängigkeit der EZB verfassungsrechtlich verankert. Sie hat die Aufgabe, frei von jedem politischen Druck Preisstabilität zu gewährleisten. Das Verschenken von Geld ist mit diesem Auftrag nicht vereinbar.

Prof. Dr. Otmar Issing, Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung, war von 1998 bis 2006 Chefökonom der Europäischen Zentralbank. Der vorliegende Beitrag ist erstmals erschienen im Cicero in der Ausgabe Nr. 5 vom Mai 2016.

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