Seit 1. Januar 2015 gilt das Mindestlohngesetz. Hierbei geht es nicht nur um mehr Geld für betroffene Arbeitnehmer, hierbei geht es um mehr: Es ist ein neues Gesetz zur Überwachung von Menschen und Wirtschaft – ein bürokratisches Monster.

Das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns – kurz: Mindestlohngesetz (MiLoG) – drückt die Grundhaltung der Großen Koalition gegenüber der Wirtschaft aus: Jeder Arbeitgeber wird als potenzieller Verbrecher gesehen, und die Kontrolle darüber soll jetzt allumfassend und fast flächendeckend durch die Zollbehörden ausgeübt werden. Dafür wurde die „Haftung des Auftraggebers“ eingeführt. Das heißt: Unternehmen sind unter Umständen für ihre Subunternehmer und damit für ihre Lieferanten, Partnerunternehmen und deren Subunternehmen verantwortlich. Die Lohnfindung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, mit Tarifverträgen und dem Zusammenwirken der Tarifparteien – wesentliches Merkmal der Sozialen Marktwirtschaft, die Deutschland seit den Zeiten Ludwig Erhards erfolgreich gemacht hat – wird beendet. Schon jetzt zeigt sich zudem: Viele Regelungen sind unklar und umstritten – und sowohl für Unternehmer als auch für private Haushalte wegen der drohenden Strafen von bis zu 500.000 Euro hochriskant.

Ausbau des Zolls zur Überwachungsbehörde

In den nächsten Jahren sollen 1.600 neue Zöllner für jährlich 80 Millionen Euro eingestellt werden, um die Einhaltung des Mindestlohns zu überwachen. Dabei ist das Mindestlohngesetz nur Anlass für eine generelle Ausweitung der Überwachung. Der Chef der Zollgewerkschaft, Dieter Dewes, forderte bereits 2.500 neue Kontrolleure. Klar, für diejenigen, die anderer Leute Arbeit überwachen, gibt es viel zu tun: Die Einhaltung von insgesamt 30 Vorschriften – Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge und andere Regeln – muss überwacht werden – obwohl es vergleichsweise wenige Tricks gibt, um das Mindestlohngesetz zu umgehen, etwa durch unbezahlte Überstunden über Scheinselbständigkeit bis hin zu Teilzeitstellen, die sich zu Vollzeitstellen addieren.

Und damit das ja nicht geschieht, müssen Arbeitgeber nun bis zu einem Monatseinkommen von 2.958 Euro Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit dokumentieren und für zwei Jahre nachweisen können. Nur so kann man den ertappen, der mehr als 348 Stunden im Monat zu je 8,50 Euro arbeitet – was zum Beispiel 29 Tage zu je zwölf Stunden wären. Kaum vorstellbar, dass sich ein Arbeitnehmer das gefallen lassen würde. Es ist also eine ziemlich irrwitzige Grenze, die faktisch dazu führen wird, dass flächendeckend Stechuhren eingesetzt werden – anders ist die Einhaltung der Arbeitszeiten nicht zu erfassen. Die von vielen für eine wunderbare neue Arbeitswelt herbeigesehnte Lockerung des Anwesenheitszwangs durch Digitalisierung und Flexibilisierung, die Entwicklung zur Vertrauensarbeitszeit statt Kontrollwahn – das alles wird zurückgedreht. Es ist dies schon immer der Wunsch von Gewerkschaften und Betriebsräten gewesen: ständige, lückenlose Kontrolle der vermeintlich entrechteten Arbeitnehmermassen, um die eigene Wichtigkeit zu dokumentieren. Die Stechuhr kommt zurück und damit auch die Kontrolle von Arbeitnehmern, die weit mehr als 8,50 € verdienen und in der Sache an sich nicht berührt sind.

Haftung für den Zulieferer des Zulieferers

Auf der entsprechenden Internetseite des Bundesfinanzministeriums ist zu lesen: „Ein Unternehmer haftet nach § 13  MiLoG und § 14 Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG), wenn der von ihm beauftragte Nachunternehmer oder dessen Nachunternehmer die Mindestarbeitsbedingungen nicht gewährt.“ Speziell zum Mindestlohn heißt es: „Die Verpflichtung zur Gewährung des Mindestlohns nach dem Mindestlohngesetz gilt für alle Beschäftigungsverhältnisse, soweit sie nicht den Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes oder den Übergangsregelungen des § 24 MiLoG unterliegen.“ Spätestens dann ist jedes Unternehmen zur Kontrolle verpflichtet, denn die Haftung ist total: Der Unternehmer haftet wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat, unabhängig von eigenem Verschulden dafür, dass der von ihm beauftragte Unternehmer, dessen beauftragter Nachunternehmer, ein von diesem Unternehmer oder Nachunternehmer beauftragter Verleiher einem Arbeitnehmer den Nettolohn bezahlt. Das bedeutet: Ein Unternehmer haftet unter Umständen für seinen Subunternehmer, Dienstleister und Zulieferer oder für den Zulieferer des Zulieferers und auch für die Taten, die dessen Zulieferer begangen hat.

Ein Unternehmen in Arbeitsteilung zu betreiben, wird somit gefährlich. Ein Beispiel: Ein Möbelhaus, das die Schrankwand von einem Dienstleister transportieren lässt, ist dafür verantwortlich, dass der Mindestlohn bezahlt wird. Gerade erst mussten Gerichte klären, ob Fahrer ausländischer Lkws auf der Durchreise mindestlohnpflichtig sind: Das Urteil lautet ja. Das ist die Kombination von Bürokratie und totaler Kontrolle: Mit der Auftraggeber-Haftung kann der Zoll jedes beliebige Unternehmen belangen – und für die Lieferkette davor haftbar machen.

Auch das Wohnzimmer ist im Visier des Zolls

Selbst privaten Haushalten drohen Kontrollen der Zollfahndung, Hausdurchsuchungen sowie Strafen bis zu 500.000 Euro für zu niedrige Lohnzahlung und bis zu 30.000 Euro für Fehler beim Stundenaufschreiben. Seit 1. Januar ist jeder, der einen Minijobber beschäftigt, verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit aufzuzeichnen. Diese Aufzeichnung muss gemäß § 17 MiLoG spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung erfolgenden Kalendertages erfolgen. Die Arbeitszeit-Kontrollblätter müssen mindestens zwei Jahre aufbewahrt werden. Grundsätzlich müssen dabei die gesetzlich feststehenden Ruhepausen von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von sechs, und von 45 Minuten bei neun Stunden Tätigkeit minutiös erfasst und namentlich abgezeichnet werden. Hiervon sind Minijobs ausgenommen. Aber ist der Minijob wirklich „mini“ oder nur getürkt „mini“? Und schon ist die Zollbehörde gefragt, dies zu prüfen.

Jede Haushaltshilfe wird so zum Risikofaktor. Denn das Mindestlohngesetz gilt für alle Tätigkeiten, außer es handelt sich nicht ausdrücklich um eine Tätigkeit, die „sonst gewöhnlich durch Mitglieder des privaten Haushalts“ erledigt wird. Unter Juristen ist diese Ausnahmeregelung umstritten. Ist Fensterputzen noch Haushaltstätigkeit im Sinne des Gesetzes, wenn etwa ein älteres Ehepaar dies schon aus gesundheitlichen Gründen bisher nicht selbst machte? Hier schlägt der Kontrollwahn zu und wird nur eines bewirken: Dass Haushaltstätigkeiten wieder schwarz bezahlt werden – was dann wieder die Überwachung durch die Zollbehörden auf den Plan ruft.

Der Zoll wird so zur flächendeckenden Überwachungs-Polizei aufgestockt. Er kontrolliert überall, bis in Küche und Wohnzimmer. „Schon heute arbeitet die Finanzkontrolle Schwarzarbeit an der Belastungsgrenze“, zitiert Spiegel-Online das Gejammer der Zollgewerkschaft. Klar, Kontrolleure sind immer der Ansicht, dass sie noch viel mehr kontrollieren könnten; wenn sie nur mehr Mitarbeiter hätten, was die eigene Wichtigkeit erhöht. Tatsächlich, so die Polizeigewerkschaft, seien insgesamt 30 Gesetze und Vorschriften tangiert – was hochspezialisierte Beamte erfordere. Wie immer im Bürokratie-Land Deutschland wird das Pferd von hinten aufgezäumt: Die Kontrolleure klagen über Arbeitsbelastung durch Überregulierung – aber die Wirtschaft soll es irgendwie stemmen. Die Beschäftigung von Minijobbern und Haushaltshilfen wird angesichts der grotesken Strafen zum Hochrisikogewerbe. Das ist beschäftigungsfeindlich und wird unweigerlich zu Jobverlusten führen.

Der Staat maßt sich an, den richtigen Lohn zu kennen

Mittlerweile hat das Kabinett auch die Mindestlohnkommission ernannt, die über künftige Anhebungen des Mindestlohns entscheidet. Den Vorsitz übernimmt der frühere Hamburger Bürgermeister und SPD-Politiker Henning Voscherau, den Gewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsam vorgeschlagen haben. Die Kommission soll erstmals 2016 über eine Erhöhung des Mindestlohns im Jahr 2017 entscheiden. Zukünftig werden also immer mehr Löhne nicht mehr am Markt bestimmt, sondern staatlich festgelegt. Wissen Kommissionen wirklich mehr als Gewerkschaften oder Unternehmer vor Ort? Funktionieren wird das nicht; das Mindestlohngesetz ist der Einstieg in Arbeitslosigkeit und staatlichen Kontrollwahn. Es ist ein Lehrstück für den Abbau von Selbstbestimmung, den Verlust wirtschaftlicher Vernunft und den schnellen Übergang in die Staatswirtschaft.

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