Der Abgas-Skandal der Autoindustrie wie auch die jüngst beschlossene Kaufprämie für Elektroautos zeigen, dass durch das Zusammenspiel von einflussreicher Industrie und kurzsichtiger Politik Innovationen nicht gefördert, sondern langfristig eher behindert oder auch verhindert werden.

Die sogenannte Thermofenster-Regelung – nach der die Abgasreinigung von Diesel-Motoren bei bestimmten Temperaturen abgeschaltet wird – ist in Fachkreisen seit Langem bekannt. Sie erhellt das Zusammenspiel von Industrie und Politik. Es handelt sich nicht um eine Gesetzeslücke, die von Autoherstellern ausgenutzt wird, sondern folgt aus dem planvollen Vorgehen der Industrie, die eine kostengünstige „Problemlösung“ in Form einer EU-Verordnung in die Politik einspeiste. Statt eine technische Lösung zu entwickeln, um Autobesitzern zusätzliche Werkstattbesuche für eine Filterwartung zu ersparen, wurde der bequemere Weg über die Büros von Abgeordneten gewählt, denen man leicht weismachen konnte, dass ohne diese Filterabschaltung die schönen Dieselmotoren Schaden nehmen würden.

Inzwischen wissen wir, dass bei uns nur noch amtliche Motorenprüfstände relativ saubere Orte sind, weil dort die Filter eingeschaltet werden. Hingegen werden auf unseren Straßen die Grenzwerte für giftige Abgase weit überschritten – mit manchen Auspuffrohren um mehr als das Tausendfache. Statt der Motoren wird nun die Gesundheit von uns allen geschädigt. Politiker, die dieses Vorgehen und die dramatische Vergiftung der Atemluft in unseren Städten heute lautstark kritisieren, waren seinerzeit stumm, als sie diesen Irrsinn verabschiedeten.

Überlegene Technik braucht keine Subvention

Nun besteht die Gefahr, dass sich ähnliche Muster bei der Subvention von Elektroautos wiederholen. Statt sich in den Forschungslabors um bessere technische Lösungen zu bemühen, wird wieder einmal versucht, auf dem bequemeren Weg durch einen Besuch im Kanzleramt die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Mithilfe des Staates stellt sich die Industrie damit wieder einmal selbst ein Bein. Denn staatliche Industrieförderung wirkt langfristig oft kontraproduktiv, weil sie den Innovationsdruck mildert. Überlegene Technik braucht keine Subvention. Macht die simple Elektrifizierung unserer heutigen Mobilitätsstrukturen technisch, ökologisch und ökonomisch überhaupt Sinn? Lediglich die Antriebsaggregate auszutauschen, ist zu kurz gedacht. Brauchbare Ökobilanzen fehlen noch, und es spricht einiges dafür, dass sich Mobilität künftig noch viel grundlegender wandeln wird. Gut möglich, dass bei uns – wie schon so oft – wieder einmal eine technische Sackgasse staatlich subventioniert wird. Gut möglich, dass innovative, neue Wettbewerber uns demnächst zeigen, was Vorsprung durch Technik ist.

Dass ein Industriezweig anscheinend kaum zu erkennen vermag, was die Stunde geschlagen hat, zeigt sich am augenfälligsten an den lächerlich übermotorisierten SUVs – „Stupid Urban Vehicles“. Bei dieser in vielerlei Hinsicht gefährlichen und umweltschädlichen Fahrzeuggattung spielt die Dieseltechnik als verkehrspolitische Innovationsbremse eine Schlüsselrolle – als Benziner wären solche Kolosse wegen hohen Spritverbrauchs vermutlich kaum verkäuflich. Hinzu kommt der Ölpreisverfall, der ebenfalls als Innovationshemmnis wirkt und das Aussterben solcher anachronistischen Verkehrsmittel verzögert. Schon längst hätte man vonseiten des Staates hier intelligentere Rahmenbedingungen setzen müssen, um stattdessen Mobilitätskonzepte zu fördern, die eine Zukunft haben. Doch der Staat tut eher das Gegenteil. Beispiel Abwrackprämie, als „Umweltprämie“ schöngeredet: Dies war ein Desaster für Umwelt und Steuerzahler – und letztlich auch für die Autoindustrie, weil diese, statt Neues zu entwickeln, staatlich subventioniert weiterhin alte Modelle verkaufen konnte. Da Subventionen eher wie ein Schlafmittel denn als Innovationspeitsche wirken, werden heute die Langzeitwirkungen solcher staatlich finanzierter Innovationsbremsen erkennbar: Die hiesige Autoindustrie läuft inzwischen Gefahr, von neuen Wettbewerbern abgehängt zu werden.

„Die Gefahr einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs droht sozusagen ständig und von den verschiedensten Seiten her. Es ist darum eine der wichtigsten Aufgaben des auf einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung beruhenden Staates, die Erhaltung des freien Wettbewerbs sicherzustellen“ (Ludwig Erhard 1957).

Das Grundmuster dieser Einflussnahme auf die Politik – auch „Industriepolitik“ genannt – hat in der Autoindustrie lange Tradition. Auf ähnliche Weise gelang es jeweils über viele Jahre hinweg, die Einführung von Sicherheitsgurten, Drei-Weg-Katalysatoren oder bleifreiem Benzin zu verhindern. Auch das Krebsrisiko durch Dieselruß wurde jahrelang geleugnet, und der Dieselrußfilter wurde solange „erfolgreich“ bekämpft, bis die ersten technischen Lösungen aus dem Ausland kamen und die Behauptungen wie so oft als Lobbyisten-Geschwätz entlarvten. Derartige Beispiele zeigen, dass Lobbyisten letztlich oft das Gegenteil dessen bewirken, was sie beabsichtigen. Was kurzfristig vorteilhaft erscheint, wirkt langfristig oft katastrophal. Heute sind nicht nur die (Diesel-)Jobs gefährdeter denn je.

Den schwarzen Peter hat die Politik

Auch das „Thermofenster“ ist letztlich eine staatlich sanktionierte Innovationsbremse. Bei VW haben einige mit Software unter der Motorhaube getrickst. Andere Autohersteller tricksten zusätzlich in den Brüsseler Wandelgängen und ließen sich ihr schlimmes „Motormanagement“ legalisieren. Die Umweltwirkungen sind in beiden Fällen ähnlich. Die Chuzpe, mit der ein „systemrelevanter“ Industriezweig über die Gesundheit von Menschen hinweggeht, und die Chuzpe, mit der Industrievertreter bei einem Ministerium betteln gehen, obgleich ihre Milliardengewinne den gesamten Etat dieses Ministeriums locker in den Schatten stellen, zeigt, dass im Verhältnis von Staat und Industrie einiges nicht in Ordnung ist. Der Staat wird als leichte Beute behandelt.

Bei VW wird zudem erkennbar, wie es um die Fehlerkultur dieses Unternehmens bestellt ist. Einige Techniker wagten es nicht, ihren Vorgesetzten einzugestehen, dass sie in eine technische Sackgasse geraten waren, und verfielen stattdessen auf kriminelle Tricks. Dieses Muster ist bekannt: In der DDR herrschte ein ähnliches Klima der Angst, auch dort gab es keine Fehler. Schönfärberei und Betrug waren normal, Innovationen wurden als Systemstörung empfunden. Mitarbeiter ließen deshalb ihre Ideen lieber in der Schublade. Der „VEB Wolfsburg“ ist in vielerlei Hinsicht näher an der DDR, als Außenstehende ahnen. Tricksereien und die Irreführung von Vorständen, kurz: „Management by Potemkin“, sind ein typisches Kennzeichen von Funktionärsorganisationen, in denen die Angst vor Machtverlust alles andere dominiert. Da passt es nur ins Bild, dass bei den VW-Vorständen in der Debatte um millionenschwere Boni nun auch das „Honecker-Syndrom“ unverkennbar durchschimmert: Realitätsverlust und mangelnder Kontakt zur Wirklichkeit infolge der Tatsache, dass man sich vorwiegend mit Jasagern umgeben hat. Das ist der schlimmste unter allen Managementfehlern – und leider auch einer der verbreitetsten.

Jedoch: Kann man Unternehmen, die sich an geltendes Recht halten und dabei die Umwelt ruinieren (oder ihre Steuerzahlungen minimieren, oder …) Vorwürfe machen? Man muss die Politiker, die solche Regelungen und Gesetze abnicken, kritisieren. Den schwarzen Peter hat eindeutig die Politik.

Ulrich Klotz, Diplom-Ingenieur, ist Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung. Der vorliegende Beitrag erschien in ähnlicher Fassung in „Die Zeit“ vom 28. April 2016.

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