„Es ist … nicht Aufgabe des Staates, unmittelbar in die Wirtschaft einzugreifen; jedenfalls nicht so lange, als die Wirtschaft selbst diesen Eingriff nicht herausfordert. Auch passt es nicht in das Bild einer auf unternehmerischer Freizügigkeit beruhenden Wirtschaft, wenn sich der Staat selbst als Unternehmer betätigt“ (Ludwig Erhard).

Ein Blick in die derzeitige Kommunalpraxis zeigt das Gegenteil. Der Staat begnügt sich längst nicht damit, einen Ordnungsrahmen vorzugeben, sondern er gestaltet den Wirtschaftsprozess aktiv mit. Quer über die Republik verteilt finden sich Beispiele für zunehmenden Staatsinterventionismus: Die Stadtwerke Schwerin betreiben über eine Unternehmenstochter einen großzügigen Wellness-, Fitness- und Erlebnistempel. Die Städtischen Betriebe Braunlage verfügen über eine kommunale „Pommesbude“. Die Stadt Duisburg betreibt über eine Tochtergesellschaft ein kommunales Kino. In Potsdam gibt es eine kommunal betriebene Tropenhalle, in Dillingen eine städtische Schülerhilfe und in Völklingen eine kommunale Meeresfischzuchtanlage. Anhänger der Sozialen Marktwirtschaft werden sich darüber verwundert die Augen reiben. Unmittelbar drängen sich Fragen auf: Kann das nicht auch ein Privater? Was sind die Kernaufgaben des Staates und insbesondere der Kommunen?

Wettbewerbs- und Marktversagen

Ordnungspolitisch kann eine wirtschaftliche Betätigung des Staates in solchen Bereichen gerechtfertigt sein, in denen der Wettbewerb versagt. Wettbewerbsversagen kann beispielsweise in der leitungsgebundenen Ver- und Entsorgungswirtschaft vorkommen. Netze sind durch relativ hohe Fixkosten gekennzeichnet. Während der Netzaufbau relativ hohe Kosten verursacht, ist der eigentliche Netzbetrieb – also die Durchleitung von Strom oder Wasser – relativ kostengünstig. Da der Fixkostenanteil mit zunehmender Ausbringungsmenge sinkt, lohnt es sich, das Netz auszulasten. Hier wäre Wettbewerb im Sinne einer Aufteilung des Netzes auf mehrere Anbieter nicht effizient. Allerdings rechtfertigt dies nicht zwingend eine kommunale Alleinzuständigkeit. Eine Alternative wäre die Vergabe zeitlich befristeter Monopollizenzen. In der politischen Diskussion wird zudem oft außer Acht gelassen, dass solche „natürlichen Monopole“ ausschließlich im Netzbereich vorliegen, während auf der Erzeugungs-, Handels- und Vertriebsstufe durchaus Wettbewerb möglich ist.

Auch Marktversagen kann ein Tätigwerden des Staates rechtfertigen, etwa im Fall sogenannter öffentlicher Güter. Ihre Besonderheit liegt darin, dass kein Interessent vom Konsum dieses Gutes ausgeschlossen werden kann und viele Nachfrager dieses gleichzeitig nutzen können, ohne dass es sich dabei qualitativ verschlechtert. Ein Beispiel ist das Licht eines Leuchtturms. Dieses Licht können viele Schiffe gleichzeitig nutzen, ohne dass es sich dadurch „verknappt“. Gleichzeitig kann (innerhalb eines bestimmten Gebiets) kein Schiff auf See vom Licht des Leuchtturms ausgeschlossen werden. Weitere Beispiele für öffentliche Güter sind Deiche oder die Landesverteidigung. Hingegen gibt es in der Kommunalpraxis immer wieder Beispiele, bei denen originär private Güter aus politischen Gründen zu öffentlichen Gütern erklärt werden. So stellt sich zum Beispiel die Frage, warum eine Tankstelle, eine Werkstatt oder eine Gaststätte, mancherorts gar eine Eisdiele oder ein Freizeitpark, kommunal und damit steuerfinanziert angeboten werden müssen.

Wettbewerbsvorteile der Kommunen

Dass „kommunale Ausflüge“ in die Privatwirtschaft längst keine Seltenheit sind, zeigt ein Blick auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes: Zwischen den Jahren 2000 und 2012 hat sich die Anzahl kommunaler Unternehmen von 10.909 auf 13.453 erhöht. Gezählt werden dabei nur solche Unternehmen, an denen die kommunalen Kernhaushalte zu mehr als 50 Prozent beteiligt sind und die ihren Hauptsitz in Deutschland haben. Auch die Umsatzerlöse der kommunalen Unternehmen sind zwischen 2000 und 2012 deutlich gestiegen. Lagen die Umsatzerlöse im Jahr 2000 noch bei 131 Milliarden Euro, schnellten sie bis Ende 2012 auf 278 Milliarden Euro herauf. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt haben sich die Umsätze kommunaler Unternehmen im gleichen Zeitraum von 6,4 auf 10 Prozent erhöht.

Ordnungspolitisch werden kommunale Wirtschaftsaktivitäten kritisiert, weil die öffentliche Hand gegenüber der Privatwirtschaft über eine Vielzahl an Wettbewerbsvorteilen verfügt. Das beginnt schon bei der Fremdkapitalaufnahme: Öffentliche Unternehmen haben in der Regel leichteren Zugang zum Kapitalmarkt; die kommunale Trägerschaft sichert ihnen häufig bessere Zins- und Kreditkonditionen. Ursächlich dafür ist die hohe Bonität der Gemeinden und Gemeindeverbände. Deutsche Kommunen können de jure nicht insolvent werden, ihre Zahlungsfähigkeit ist durch die Länder abgesichert.

Ein weiterer Wettbewerbsvorteil betrifft die Haftung. Die Verfügungsrechte öffentlicher Unternehmen liegen faktisch bei den Bürgern, die ihren „imaginären“ Unternehmensanteil aber weder verkaufen können, noch können sie direkt auf die Geschäftsführung öffentlicher Unternehmen Einfluss nehmen. Sie haben auch kein Gewinnaneignungsrecht, dennoch tragen sie das wirtschaftliche Risiko. Für die Verbindlichkeiten öffentlich-rechtlicher Unternehmen haftet die öffentliche Hand unbeschränkt und unmittelbar (Ausnahmen bei Anstalten des öffentlichen Rechts), bei privatrechtlichen Organisationsformen wie AGs oder GmbHs ihrem Anteil am Stamm- beziehungsweise Grundkapital entsprechend. Aus Sicht der Bürger ist das Ausmaß der öffentlichen Haftung nur schwer einzuschätzen. Viele Kommunen besitzen ein engmaschiges Netz an Beteiligungen und agieren wie Großkonzerne. Innerhalb dieses Konzerns fließt eine Vielzahl an Zahlungsströmen: Zuschüsse, Gewinnabführungen, Verlustausgleiche etc. Oft findet im „Konzern Kommune“ auch eine Quersubventionierung unrentabler Unternehmen und Unternehmensbereiche statt. So werden Geschäftsfelder jahrelang künstlich am Leben gehalten, bis sie wirtschaftlich nicht mehr zu retten sind.

Oft bieten öffentliche Unternehmen ihre Leistungen zu „staatlich tarifierten Preisen“ an. Ist die „marktliche Preisfindung“ außer Kraft, wird die Konsumentscheidung verzerrt. Dazu Ludwig Erhard in einer Rede aus dem Jahr 1955: „Er [der freie Preis] allein macht Leistungen messbar und vergleichbar, und nur über das Barometer der Preisentwicklung wird die Richtigkeit oder werden Fehler unternehmerischer Dispositionen aufgezeigt. Nur an den Preisen ist abzulesen, ob im Einzelnen zu viel oder zu wenig, ob Richtiges oder Falsches produziert worden ist.“ Häufig wird eine „kommunale Eigeninitiative“ mit dem Argument der Preisgünstigkeit gerechtfertigt. Liegt aber der „politisch gesetzte“ unter dem „ökonomisch effizienten“ Preis, sind Subventionsbeträge notwendig. Diese Subventionsbeträge müssen an anderer Stelle aufgebracht werden. Eine „kommunale Preissetzungskontrolle“ ist aus ordnungspolitischer Sicht vor allem umstritten, weil wettbewerblich zustande gekommene Preise über „Knappheiten“ informieren, von ihnen daher auch eine „Signalwirkung“ ausgeht.

Letztlich genießen öffentliche Unternehmen Steuervorteile. Soweit kommunale Unternehmen der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen, also Hoheitsbetriebe sind, können sie von der Körperschaft- und Umsatzsteuer befreit werden. Gleiches gilt für Anstalten öffentlichen Rechts auch in Bezug auf die Grunderwerbsteuer.

Missachtung und Umkehrung des Subsidiaritätsprinzips

Mischt sich der Staat zunehmend in die Privatwirtschaft ein, ist darin auch ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip zu sehen. Das Subsidiaritätsprinzip beschränkt die Aufgaben der öffentlichen Hand auf solche Bereiche, in denen die Privatwirtschaft nicht in der Lage ist, eine im Gesamtinteresse stehende Aufgabe zufriedenstellend zu bewältigen. Die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips ist der Grundpfeiler einer dezentral organisierten Wirtschaft. Dezentralität befördert Wettbewerb und Vielfalt. Zudem schränkt das Subsidiaritätsprinzip die Macht des „Steuerstaats“ ein: Eine staatliche Teilnahme am Wirtschaftsleben (und die damit erhoffte Aneignung von Gewinnen) in einem marktwirtschaftlich organisierten System darf keine prioritäre Staatsaufgabe sein.

Ein Blick in das Kommunalrecht zeigt allerdings das Gegenteil. Hier findet sich ein regelmäßiger Trend zur Umkehrung des Subsidiaritätsprinzips. So regelt beispielsweise die nordrhein-westfälische Gemeindeordnung, dass sich die ansässigen Gemeinden bereits dann wirtschaftlich betätigen dürfen, wenn „der öffentliche Zweck durch andere Unternehmen nicht besser und wirtschaftlicher erfüllt werden kann“ (§ 107 I Nr. 3 GO NRW). Hier rechtfertigt also bereits die „Gleichrangigkeit der Leistungen“ eine staatliche Initiative. Das Subsidiaritätsprinzip verlangt in diesen Fällen aber gerade eine Nachrangigkeit des Staats. Ähnliche Klauseln gibt es nicht nur in der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalens, sondern auch in anderen Bundesländern (so zum Beispiel in den Kommunalverfassungen bzw. Landeshaushaltsordnungen Berlins, Brandenburgs, Bremens, Hamburgs, Mecklenburg-Vorpommerns, Sachsens, Sachen-Anhalts und Schleswig-Holsteins).

Das Subsidiaritätsprinzip steht aber nicht nur im Spannungsfeld des Kommunalrechts, sondern wird verschiedentlich auch durch diverse Bundesgesetze ausgehebelt. Ein Beispiel ist das Kreislaufwirtschaftsgesetz, welches das deutsche Abfallrecht regelt. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz gibt für Abfälle aus privaten Haushalten grundsätzlich eine Überlassungspflicht vor, das heißt, die privaten Haushaltsabfälle müssen den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern überlassen werden. Bei der gewerblichen Sammlung getrennt erfasster Haushaltsabfälle gibt es Ausnahmen. Ein privater Anbieter darf dann eine gewerbliche Abfallsammlung übernehmen, wenn er nachweist, dass er im Vergleich zur Kommune „wesentlich leistungsfähiger“ (§ 17 III KrWG) ist. Damit liegt die Beweislast beim privaten Unternehmen.

Der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen wird Vorrang eingeräumt

Aktuell gibt es auch in den Bundesländern Bestrebungen, das Gemeindewirtschaftsrecht zum Vorteil öffentlicher Unternehmen zu novellieren: So sieht der Koalitionsvertrag zwischen den Regierungsparteien in Thüringen vor: „Über Anpassungen des Landesrechts sollen die wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten der Kommunen und Landkreise im Bereich der erneuerbaren Energieversorgung so weit wie möglich gefasst werden.“ Dem schließen sich andere Bundesländer an: Das Land Niedersachsen plant für dieses Jahr eine Aufweichung des Örtlichkeits- und Subsidiaritätsprinzips. Das Örtlichkeitsprinzip beschränkt die wirtschaftliche Betätigung kommunaler Unternehmen grundsätzlich auf das jeweilige Gemeindegebiet, wobei es zum Teil Ausnahmen gibt (interkommunale Kooperationen etc.). In seiner kommunalpolitischen Grundsatzrede im Jahr 2014 forderte der niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius: „Die Kommunen sollen sich wieder wirtschaftlich betätigen können und zwar leichter als bisher, nämlich dann, wenn sie die Aufgabe genauso gut wie ein Privater erledigen können […] Und wir wollen außerdem für Erleichterung sorgen beim Örtlichkeitsprinzip für die kommunalen Energieversorgungsunternehmen, auch das wird immer wichtiger in Zeiten, in denen immer wieder auch kommunale Versorger unter Druck geraten.“

Auch der Gesetzesentwurf der schleswig-holsteinischen Landesregierung sieht eine Erweiterung der kommunalen Betätigungsmöglichkeiten vor. So sollen kommunale Energieversorgungsunternehmen künftig eine Art „Freifahrtschein“ erhalten, indem ihnen grundsätzlich ein „öffentlicher Zweck“ zugebilligt wird. Bislang muss von kommunaler Seite explizit begründet werden, ob und wie ein Energieversorgungsunternehmen einen öffentlichen Zweck erfüllt. Diese Zulässigkeitsvoraussetzung soll nun entfallen. Zudem soll im Bereich der Energiewirtschaft das Subsidiaritätsprinzip verwässert werden. Bislang durften kommunale Unternehmen im Bereich der Energiewirtschaft nur tätig werden, wenn Private nicht besser und effizienter sind.

Diese Initiativen legen die Vermutung einer weiteren Expansion kommunaler Wirtschaftstätigkeit nahe. Vonseiten der Kommunalpolitik werden dafür häufig umwelt- und beschäftigungspolitische Gründe ins Feld geführt. Gerade seit der Energiewende wird das kommunale Tätigwerden immer häufiger mit der Nutzung regenerativer Energien gerechtfertigt. Eine solche Argumentation unterstellt, dass die Privatwirtschaft nur eingeschränkt bereit ist, ein „ressourcenschonendes“ Angebot bereitzustellen. Dabei wird verkannt, dass die privaten Unternehmen infolge verschiedener nationaler und europarechtlicher Vorgaben (EEG, Emissionshandelssystem) bereits zur Einhaltung energiepolitischer Vorgaben verpflichtet sind. Dem Argument der „lokalen Beschäftigungsförderung“ ist entgegenzuhalten, dass jegliche kommunale Wirtschaftstätigkeit in der Privatwirtschaft zu Umsatzeinbußen und gegebenenfalls sogar zu Arbeitsplatzverlusten führt.

Im Ergebnis bleibt festzuhalten: Kommunal ist nicht immer gleich optimal! Es gibt gute Gründe, warum sich der Staat nur in Grenzen wirtschaftlich betätigen sollte. Hier zeigt die Kommunalpraxis geradezu beängstigende Tendenzen auf. Es geht mit voller Kraft Richtung Staatswirtschaft.

Der Beitrag ist eine leicht gekürzte Fassung von: Karolin Herrmann, Städte und Gemeinden: Marschroute Staatswirtschaft?, in: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Heft 141, Juni 2015, Seiten 54 ff.

Dr. Karolin Herrmann ist Mitarbeiterin in der Abteilung Haushaltspolitik und Haushaltsrecht des Deutschen Steuerzahlerinstituts.

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