Nun wird alles gut, sagt uns die Politik. Die Euro-Staaten haben sechs Monate lang mit der griechischen Regierung um weitere Hilfsgelder gefeilscht und gezerrt. Alexis Tsipras, der griechische Premierminister, hat während der Verhandlungen atemberaubende Haken geschlagen. Als krönenden Abschluss haben sich die europäischen Regierungschefs in einer siebzehnstündigen Marathonsitzung schließlich zu einer Lösung durchgerungen.

Man hätte es nicht besser in einer Seifenoper inszenieren können: Griechenland und der Euro sind wieder einmal auf dramatische Weise gerettet worden. Nun wird alles besser als vorher, verspricht uns die Politik. Vergessen wir, dass die griechische Wirtschaft in den letzten fünf Jahren auf keinen grünen Zweig gekommen ist. Vergessen wir, dass weder das griechische Volk noch seine Regierungen wirklich je umfassende Reformen der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse wollten. Vergessen wir das überwältigende Nein der Griechen in ihrem Referendum zu den von den Kreditgebern verlangten Reformen. Vergessen wir, dass Griechenland politisch wie wirtschaftlich weit mehr seinen Nachbarn auf dem Balkan gleicht als den Kernländern der Eurozone. Vergessen wir, dass die Eurozone mit Volkwirtschaften von so unterschiedlichem Entwicklungsstand und unterschiedlicher Leistungskraft, mit denen sie politisch zusammengezimmert wurde, wirtschaftlich eigentlich nicht funktionieren kann.

Setzen wir den politischen Gestaltungswillen über die wirtschaftliche Realität! Gehen wir davon aus, dass die griechische Regierung nun umfassende Strukturreformen durchsetzen wird – auch wenn sie keine parlamentarische Mehrheit hat. Nehmen wir an, dass sich durch den Verkauf von Staatseigentum 50 Milliarden Euro erlösen lassen – auch wenn bisher das Interesse von Investoren an griechischem Staatsbesitz kaum wahrnehmbar war. Beschließen wir doch einfach, dass von nun an alles gut werden wird!

Von Bruchstellen zum Scheitern der Währungsunion

Natürlich kann dies nicht gut gehen. Auch wenn die Politik vor der Realität die Augen fest verschließt, wird sie am Ende von ihr eingeholt werden. Wer sehen will, der sieht die sich weitenden Bruchstellen in der Europäischen Währungsunion: (1) Für die meisten Länder erweist sich die europäische Einheitswährung als Zwangsjacke, die ihnen kaum Raum zum wirtschaftlichen Atmen lässt. (2) Die durch die Zwangsjacke geschwächten Länder müssen von den stärkeren durch dauerhafte Transfers unterstützt werden. (3) Wo diese Transfers nicht ausreichen, muss die Zentralbank als Finanzierungsquelle einspringen. Denn fehlt ein finanzstarker zentraler Einheitsstaat, der umfassende Transfers organisieren und sich schützend vor die Zentralbank stellen kann, dann ist diese den Mitgliedsländern als Quelle zur Finanzierung ihrer Budgetdefizite ausgeliefert.

Von diesen Bruchstellen führt der Weg über die Transfer- und Weichwährungsunion letztendlich zum Scheitern der Europäischen Währungsunion. Doch der Weg dahin wird sehr lang sein. Die schwächeren Länder setzen auf die ihnen in der Transfer- und Weichwährungsunion zukommende Unterstützung. Sie verschulden sich, ohne Aussicht, die Schuld je zurückzahlen zu können. Die als Kredite deklarierten Finanzhilfen der Krisenmechanismen sind daher verkappte Transfers. Die Zinslast aus der Verschuldung am Markt wird durch Interventionen der Europäischen Zentralbank heruntersubventioniert. Dadurch wird Vermögen von den Gläubigern zu den Schuldnern transferiert. Zur Einforderung der Unterstützung durch die Gemeinschaft erhöhen die schwächeren Länder den politischen Druck zum Erhalt der Europäischen Währungsunion. Sie fordern ein Europa der „Solidarität“ und wehren sich gegen die „deutsche Hegemonie“. Sie malen den Rückfall in die europäischen Spannungen vor den Weltkriegen an die Wand, wenn ihren Forderungen nicht nachgegeben wird.

Ausbeutung versus „europäische Solidarität“

Frankreich zählt sich zu den Schwachen und potenziellen Transferempfängern. Deshalb versteht es sich als ihr Anwalt und Verteidiger gegen ein als übermächtig empfundenes Deutschland. Italien gebärdet sich als zweite Schutzmacht Griechenlands, weil es sich von dieser Rolle selbst Schutz gegen ein als wirtschaftlich übermächtiges Deutschland verspricht. Prinzipiell darf kein Land, und sei es auch noch so ungeeignet für die Europäische Währungsunion, je austreten. Denn ein Austritt würde die unbegrenzten fiskalischen und monetären Finanzhilfen durch die Gemeinschaft der Länder und der Europäischen Zentralbank infrage stellen. Jedem einzelnen Land würde in einer „Gemeinschaft mit beschränkter Haftung“ der Austritt drohen, wenn ihm zerrüttete Finanzen den Zugang zum Kapitalmarkt versperren würden. Statt weicher würden harte Budgetrestriktionen gelten.

Dem Lager derjenigen, die sich als Schwächere fühlen, steht ein Deutschland gegenüber, das wegen seines schlechten Gewissens nur unzulänglich eigene Interessen verfolgen kann. Deutschlands historische Schuld kann niemals vergessen werden. Wegen dieser Schuld hat Deutschland eine Bringschuld zum Erhalt guter nachbarschaftlicher Beziehungen in Europa. Aber schließt diese Bringschuld die Notwendigkeit ein, an einer falsch konstruierten Währungsunion festhalten zu müssen? Ist es mit dieser Bringschuld vereinbar, dass Deutschland die Interessen anderer Länder, die sich von den Transferempfängern ausgebeutet sehen, geringer achtet als die der lautstarken Rufer nach „europäischer Solidarität“? Nur mühsam können die Gegensätze zwischen den Lagern der Transferempfänger und der Transfergeber übertüncht werden. Darunter schwelen zunehmendes Misstrauen und Ärger.

Auch wenn der Euro scheitert, darf Europa nicht scheitern!

Am Ende wird die Europäische Währungsunion dadurch zu Bruch gehen, dass sich die stärkeren Länder der finanziellen Ausbeutung und der Aufweichung des Geldwerts durch die Schwächeren entziehen. Für die schwächeren Länder bringt die Währungsunion handfeste finanzielle Vorteile in Form von billigen Krediten und Transfers. Sie werden daher alles tun, um an der Währungsunion festzuhalten. Freiwillig wird ein schwaches Land niemals austreten, und ein erzwungener Austritt wird von den Anwälten der Schwachen mit dem Appell an die europäische Solidarität verhindert werden. Die stärkeren Länder werden sich dagegen durch die Europäische Währungsunion mit der Zeit immer stärker finanziell und wirtschaftlich belastet fühlen. Die politischen Spannungen innerhalb der Währungsunion werden zunehmen, bis die politischen Zentrifugalkräfte die Bindungskräfte übersteigen. Die Transfergeber werden dann aus der Union austreten, wenn die Belastung durch Transfers und Aufweichung der gemeinsamen Währung so drückend wird, dass sie die aus dem Bruch mit den anderen Ländern entstehenden Kosten übersteigt.

Der Verteilungskampf innerhalb der Europäischen Währungsunion belastet das Verhältnis zu den Ländern der Europäischen Union, die an der Währungsunion nicht teilnehmen. Sie müssen fürchten, in diesen Kampf verwickelt und zur Kasse gebeten zu werden. Daher versuchen einige, allen voran Großbritannien, sich aus der Europäischen Union teilweise oder ganz herauszulösen. An Spaltung und Zerfall der Europäischen Währungsunion könnte daher auch die Europäische Union zerbrechen. Das würde die griechische Tragödie zur Tragödie Europas machen. Zum Schutz Europas ist es deshalb notwendig, das Schicksal der Europäischen Währungsunion von dem der Europäischen Union zu trennen. Auch wenn der Euro scheitert, darf die Europäische Union nicht scheitern.

DRUCKEN
DRUCKEN