„Was sind das für Reformen, die uns Wände voll neuer Gesetze, Novellen und Durchführungsverordnungen bringen? Liberale Reformen sind es jedenfalls nicht. Es sind Reformen, die in immer ausgeklügelterer Form Bürger in neue Abhängigkeiten von staatlichen Organen bringen, wenn nicht sogar zwingen“ (Ludwig Erhard, 1974).

Beim Aufräumen sind die Mitarbeiter der Ludwig-Erhard-Stiftung auf ein kleines Geheimnis Ludwig Erhards gestoßen. In einem unscheinbaren, etwas versteckten Fach seines Schreibtisches lagern mehrere Zigarrenkisten, hauptsächlich kubanischer Herkunft: Die meisten noch original verpackt, andere schon genießerisch angebrochen. Die Zigarre ist das Symbol des 1977 verstorbenen „Wirtschaftswunderkanzlers“ Ludwig Erhard, der auch die D-Mark ins Leben gerufen hat und dessen Name für Währungsstabilität steht – in Zeichen der schärfer werdenden Euro-Krise ein wichtiges Vermächtnis. Es ist nur eine kleine, historisch nicht bedeutsame Anekdote.

Fortschreitende Beschneidung der Freiheit

Aber sie fällt in eine Woche, in der neue Pläne der Bundesregierung bekannt wurden. Bundesernährungsminister Christian Schmidt kündigte an, dass er Werbung für Zigaretten auf Plakaten und im Kino verbannen will. Werbung, die es ohnehin kaum mehr sichtbar gibt. Auch Alkoholwerbung steht längst auf dem Prüfstand. Ihr Fall ist nur noch eine Frage der Zeit. Damit wäre Ludwig Erhard heute als Politiker nicht mehr vermittelbar: Zur Zigarre, dem Symbol des Wohlstands, soll er gerne Whiskey getrunken haben. Für ihn stand das in Verbindung mit der großen Freiheit, die damals die USA verkörperten. Verbote dieser Art, ein vorbeugender Betreuungsstaat, der die Menschen gängelt und ihnen Vorschriften in immer neuen Lebensbereichen macht bis hin zur Glühbirne und der Strahlstärke im Duschkopf – das wäre nicht seine Welt gewesen.

Nun gibt es immer gute Gründe für Verbote – allerdings sind es meist nur gut gemeinte. Die wirksamste Motivation zum Energiesparen ist ein Blick auf die Stromrechnung, nicht auf Vorschriften, die nicht durchsetzbar sind: Auf einem Wochenmarkt habe ich gerade ein Dutzend nostalgischer 100-Watt-Glühbirnen der guten, alten Art gekauft. Auch mein Badezimmer ist ein Refugium der Freiheit, wenn auch ein kleines. Rauchen gefährdet die Gesundheit – das ist wahr und unbestritten. Ich bin übrigens Nichtraucher, und allein der Duft der Erhard`schen Zigarren hat mir schon auf die Atemwege geschlagen. Aber der maßlose Zorn auf Raucher und der Versuch, die letzte Zigarette auszudrücken, werden der Gesundheit wenig dienlich sein – aber die Freiheit schädigen. Denn nicht die Verbote im Einzelnen sind so gefährlich, sondern ihre immer weitere Ausdehnung, wie sie beispielsweise jetzt in der Werbung geplant ist: Justizminister Heiko Maas will mit Geschmacksvorschriften angeblich geschlechterdiskriminierende Werbung unterbinden und so einem modernen Frauenbild zum Durchbruch verhelfen.

Die Verschiebung von Werten macht Täter zu Opfern

Selbst ein Slogan wie „Auch Männer haben Gefühle: Durst“ sind nach Ansicht eines an der Formulierung der Gesetzentwürfe beteiligten Verbands künftig unzulässig. Die Sprach- und Denkpolizei lässt grüßen – und genau damit sollen neue Werte zuerst weich, und dann mit Zwang umgesetzt werden. Der von Maas so maßgeblich zu Rate gezogene Verein „Pinkstinks“ hat jetzt nach dem zu erwartenden Erfolg bei Werbeverboten eine Initiative gestartet, um die Verschleierung der Frau durch Hidschab (Kopftuch) und Abaya (Ganzkörper-Schleier) zu bewerben. Da schreibt die Heldin über einen Abend, den sie mit ihrer fünf Mal gen Mekka betenden, verschleierten und nur halal essenden Freundin verbracht haben will: „Als ich mit ihr auf einem Ball war, für den ich mich in ein unfassbar enges Kleid gepresst hatte und mit sehr hohen Schuhen nicht gut tanzen konnte, beneidete ich sie um ihre Abaya, in dem sie nicht weniger Spaß zu haben schien als ich – im Gegenteil. UND sie hatte den spannenderen Mann an ihrer Seite.“ Wir lernen: Verschleierung ist komfortabel und sexy. Es geht nicht nur um sinnhafte Verbote, sondern um eine Verschiebung der Werte.

Und während die Kampagnen gegen Alkohol und Nikotin verschärft laufen, sollen Drogen wie Cannabis legalisiert werden. Ohnehin ist schwerer Drogenmissbrauch für wichtige Vertreter der Gesellschaft nur eine Lappalie: Nachdem der grüne Spitzenpolitiker Volker Beck mit Crystal Meth erwischt wurde, hat er trotzdem sein Bundestagsmandat nicht aufgegeben – auch seine Immunität wurde zunächst nicht aufgehoben und die Strafverfolgung damit verzögert. Er habe ja immer offen für eine Legalisierung der Drogen gekämpft, versucht die grüne Bundestagsfraktion seinen Missbrauch zu erklären. Dabei wird Crystal Meth, ein starkes Nervengift, das leicht in das Gehirn eindringen kann, zur Massensucht: Bis zu 10 Prozent aller Geburten sind heute „Crystal-Babys“, schätzt Eva Robel-Tillig, Chefin der Neonatologie im Leipziger Sankt Georg Krankenhaus. Die Babys seien hinsichtlich ihrer motorischen und mentalen Entwicklung gestört und fallen in der Nachsorge durch Beziehungsprobleme und ein erhöhtes Risiko für ADHS auf. Die meisten Kinder von Crystal-süchtigen Eltern seien bisher im Grundschulalter oder jünger. Große Probleme werden für sie vorhergesagt. Dagegen gibt es keine wirksame, flächendeckende Kampagne. Crystal Meth gilt als schicke Lifestyle-Droge einer modernen, hedonistischen Schicht.

Auch die Begründung für das Verbot „geschlechterdiskriminierender Werbung“ klingt seltsam: Solche Werbung habe die nordafrikanischen Männer in der Silvesternacht in Köln und anderswo erst angestachelt. Hier werden Täter zu Opfern umgedeutet und daraus Verbote für die Gesellschaft abgeleitet. Die Frage nach der Freiheit der Bürger gewinnt damit einen Wert, der über den wirtschaftlichen Schaden hinausgeht. Es ist auch die Frage nach grundsätzlichen Werten, die in unserer Gesellschaft gelebt werden dürfen.

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